Rapunzel 03
Datum: 11.06.2018,
Kategorien:
Romane und Kurzromane,
Autor: byJoanWilbury
... zu mir, während er mich in den Arm nahm, „ich zieh doch nicht deinetwegen aus. Du wirst mir fehlen, das kannst du mir glauben."
„Warum gehst du denn dann?"
„Weil ich erwachsen bin. Und unabhängig sein will. Du und deine Eltern seid super und ich hab euch wirklich gern, aber trotzdem -- es sind nicht meine eigenen vier Wände, in denen ich lebe. Das fühlt sich auf die Dauer einfach scheiße an."
Ich schwieg. Diese Begründung verstand ich ausnahmsweise tatsächlich nicht.
„Ich werd euch besuchen", versprach er mir. „Und ich bestehe darauf, dass du mich auch besuchst. Mindestens einmal die Woche! Sonst... äh... ach, keine Ahnung. Werd ich furchtbar sauer und suche dich in deinen Träumen heim." Er machte eine Pause und musterte mit zusammengekniffenen Augen mein Gesicht. „Hey, war das gerade etwa ein Grinsen? Doch, bestimmt! Gib 's zu, du kannst wieder lachen."
Also fand ich mich wohl oder übel damit ab, meinen „großen Bruder" nicht mehr in greifbarer Nähe zu haben.
Es vergingen gut zwei Jahre, in denen wir uns wie abgemacht immer mal wieder besuchten und etwas zusammen unternahmen. Mir ging es gut, ich hatte meine Eltern und Mick, die für mich da waren. Eines Tages war dann plötzlich alles ganz anders.
Mein Vater musste geschäftlich verreisen, zu irgendeiner Messe im Schwarzwald. Irgendwie kamen er und meine Mutter darauf, dass sie zusammen mit dem Zug fahren könnten, meine Mutter wollte das mit dem Besuch einer Freundin verbinden. Ich konnte allerdings nicht ...
... mit, weil ich keine Ferien hatte, deshalb erklärte Mick sich bereit, für die eine Woche Babysitter zu spielen.
Sie hatten mir hoch und heilig versprochen anzurufen, sobald sie angekommen wären. Vorher wollte ich auf keinen Fall ins Bett. Mick und ich aßen zu Abend, danach holte ich meine Spielesammlung, wir spielten Mühle, Mensch-ärgere-dich-nicht und schließlich brachte er mir Poker bei.
Um halb neun hielt ich es nicht mehr aus.
„Sie sind doch schon seit einer Stunde in Freiburg", sagte ich klagend.
„Der
Zug
ist dort angekommen", meinte er ruhig. „Beziehungsweise sollte angekommen sein. Bei der Bahn ist das ja immer Glückssache. Und selbst wenn sie schon da sind, müssen sie ja erst mal mit dem Taxi ins Hotel, dann wollen sie vielleicht ihre Sachen auspacken und sich ein bisschen einrichten... Das dauert alles seine Zeit. Die rufen schon gleich an."
Ich versuchte, ihm zu glauben, aber ich konnte nichts dagegen machen, dass es in meinem Bauch rumorte. Zumal ich mit jeder verstreichenden Minute beobachten konnte, wie sein Gesichtsausdruck trotz seiner gelassenen Worte immer besorgter wurde.
Schließlich war es neun Uhr. Es gab zwar damals schon Handys (von der Größe eines Ziegelsteins allerdings), aber weder mein Vater noch meine Mutter hielten so ein Ding für sinnvoll. So musste Mick, der seine eigene Unruhe jetzt nicht mehr vor mir zu verstecken versuchte, die Nummer des Hotels heraussuchen, in dem meine Eltern ein Zimmer gebucht hatten.
Nein, das ...