1. Jung, Devot Sucht ... (01)


    Datum: 16.11.2021, Kategorien: Schwule Autor: byAigis

    ... Lineal unterstrichen, auf dem Papier erschien. Dann ging alles ganz schnell und die Sätze huschten nur so über das Briefpapier:
    
    BEWERBUNG
    
    Mein Herr! Erlaubt bitte, dass ich Euch so anspreche. Mein werter Herr, seitdem ich Eure Zeilen lesen durfte, habe ich Schmetterlinge im Bauch. Ich kann nicht essen, kann nicht trinken, kann nicht schlafen, ohne daran zu denken, was Ihr alles mit mir machen könntet. Nein, das stimmt eigentlich nicht. Es müsste heißen: Was ich alles für Euch machen dürfte, um Euch Lust und Freude zu bereiten.
    
    Hiermit bewerbe ich mich bei Euch, mein werter Herr, um eine Stellung als -- ja, als was eigentlich? Ich bewerbe mich um eine Stellung als das, wozu Ihr mich auch immer nutzen und benutzen wollt. Ich weiß nicht was das sein wird. Ich weiß aber, dass ich Euch in jeder Hinsicht zu Diensten sein möchte. Ich habe noch keine Erfahrung, bin sozusagen ein unbeschriebenes Blatt, und Ihr wäret der erste, der es beschreibt. Eure Handschrift, werter Herr, ist sehr schön. Bitte zögert nicht, sie auch in übertragenem Sinne auf meinem Po anzuwenden, wenn ich Euren Erwartungen nicht entspreche oder zögere, Euren Anordnungen Folge zu leisten.
    
    Ich schrieb noch ein paar Sätze zu meiner Lebenssituation mit meiner Freundin und natürlich auch zu meinen Phantasien, mit dem Hinweis, dass ich deren Verwirklichung zurückstellen würde, wenn er Anderes mit mir vorhätte. Ich verlieh meiner Hoffnung Ausdruck, dass er meinen Altersvorstellungen entspräche, betonte, ...
    ... dass ich willig, wiss- und lernbegierig sei und endete den Brief mit:
    
    Ich hoffe, dass meine Bewerbung Euer Interesse und Wohlwollen findet und würde mich sehr über Eure Antwort freuen.
    
    Hochachtungsvoll
    
    Euer
    
    Michael
    
    Warum ich diesen Brief im Pluralis Majestatis verfasste, weiß ich nicht mehr. Vermutlich war mir einfach so nach den vielen Achterbahnfahrten meiner Gefühle. Mein „Bewerbungsschreiben" war zum Schluss zwei ganze Seiten lang. Immer wieder hatte ich einzelne Passagen korrigiert, Sätze und Wörter durchgestrichen und durch andere ersetzt. So konnte ich den Brief nicht abschicken. Also schrieb ich ihn in Schönschrift nochmal ab, steckte ihn in ein Briefkuvert und verschloss es. Den Entwurf behielt ich, weshalb ich den Inhalt nach 44 Jahren noch ziemlich authentisch widergeben kann. Am nächsten Morgen wollte auf dem Weg zur Arbeit bei der Post vorbeigehen und den Brief aufgeben. Vor dem Postamt machte ich aber wieder kehrt, ich traute mich einfach nicht. Wie konnte ich nur einem wildfremden Mann intime und intimste Dinge über mich erzählen? Dazu noch einem Mann, der mich mit seinem Schreiben unflätig und respektlos angesprochen hatte. Was wäre, wenn er sich als Erpresser entpuppte, der mich hinhängen wollte, schließlich hatte ich ihm meinen vollen Namen und meine Adresse mitgeteilt. Was wäre, wenn Hermann Winter in Wirklichkeit im Auftrag der Sittenpolizei handelte und einem 175er auf die Schliche kommen wollte? Dieser Brief durfte niemals den Empfänger ...
«1...345...15»