Zufällige Begegnung
Datum: 09.12.2021,
Kategorien:
Romantisch
Autor: Freudenspender
... meiner Halsbeuge.
"Ich habe keine Angst", stelle ich klar.
"Das weiß ich", versichert sie.
"Ich erwarte auch nichts von dir", füge ich hinzu.
"Auch das weiß ich", beruhigt sie mich. "Eben deshalb."
Wir stehen eine ganze Weile nur so da. Ich kann die Wärme ihres Körpers spüren und ihren Atem an meiner Haut. Sie rührt sich nicht.
"Weißt du, wie lange es her ist, dass ich mich anlehnen konnte?"
"Keine Ahnung. Ich nehme jedoch an, dass es eine ganze Weile her ist", antworte ich.
"Viel zu lange", meint Pia. "Vier Jahre, acht Monate und neun Tage."
"Das weißt du so genau?"
"Das war das letzte Mal, dass mich meine Eltern in den Arm genommen haben", sagt sie.
"Das tut mir leid", bringe ich hervor.
Meine Stimme ist belegt. Allmählich wird mir in etwa das Ausmaß dessen bewusst, was dieses Mädchen alles durchmachen musste. Wenn sie sogar die Tage zählt, wie lange es her ist, dann liegt ihr das schwer auf dem Herzen.
"Was ist mit deinen Eltern?", frage ich. Ich traue mich kaum es auszusprechen.
"Sie sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Ein LKW hat ein Stopp-Schild übersehen und hat mit hoher Geschwindigkeit den Wagen meiner Eltern von der Seite her gerammt. Sie waren auf der Stelle tot. Am Morgen, als sie aus dem Haus gingen, haben sie mich beide noch umarmt. Allerdings wusste ich damals noch nicht, dass es ein Abschied für immer sein würde", erzählt sie.
"Scheiße!", rutscht mir raus.
"Das kannst du laut sagen", meint ...
... Pia.
"Entschuldige, ich wollte nicht respektlos sein", wehre ich ab.
"Das bist du nicht. Ich wüsste auch nicht, wie du anders reagieren könntest", beruhigt sie mich.
"Seitdem hast du dich um deine Geschwister gekümmert?", frage ich.
"Es gab sonst niemand. Ich war kurz zuvor achtzehn geworden und konnte somit die Vormundschaft übernehmen. Es wäre schrecklich gewesen, hätten sie in ein Heim müssen. Sie haben so schon unter dem Verlust der Eltern gelitten", erzählt sie.
"Das war sicher nicht leicht für dich."
"Ich habe mich oft gefragt, warum das ausgerechnet uns hat passieren müssen", antwortet sie. "Versteh mich nicht falsch, ich liebe die beiden über alles und ich würde wirklich alles tun, damit es ihnen gut geht. Aber es ist verdammt schwer. Nur von der Hilfe der öffentlichen Hand abhängig zu sein ist schon nicht leicht. Um jeden Euro muss man betteln und ihn dann belegen. Und trotzdem reicht das Geld hinten und vorne nicht aus, um den beiden ein halbwegs normales Leben bieten zu können. Aber das Schlimmste ist, dass ich für meine Geschwister stark sein muss, aber nicht immer die Kraft dazu habe."
"Das kann ich mir vorstellen", pflichte ich ihr bei. "Die Frau vom Amt hat gesagt, du studierst?"
"Ich hatte damals gerade mein Psychologie-Studium begonnen und wollte es nicht abbrechen. Doch einfach ist das nicht. Aylin und Kevin brauchen mich und deshalb komme ich mit dem Studium kaum vom Fleck. Ich denke, das Beste wird sein, wenn ich es aufgebe und mir einen Job ...