1. Blinde Wut (1)


    Datum: 12.04.2022, Kategorien: Romantisch Autor: Plautzi

    ... schläfst, magst du mir zumindest erzählen, wie es dir dort ergeht? Wie ist es da so? Ich war noch nie an solch einem Ort und kann es mir nicht vorstellen, aber es interessiert mich."
    
    Es dauert einen Moment. Ich sehe dir an, dass du über deine Antwort nachdenkst. Doch dann ...
    
    Es ist ein feuchter Ort. Oft rinnt kaltes Wasser an den Wänden, die sich nach kaltem Beton anfühlen, herunter. Ich glaube, alles dort ist aus Beton, denn an vielen Stellen kann man runden Stahl fühlen, der spitz herausragt. Überall liegen Brocken herum, und es gibt viele Bruchstellen.
    
    In den Gängen gibt es große Pfützen auf dem Boden. Es riecht dort alt und muffig.
    
    An vielen Stellen zieht Wind hindurch. Das ist Tag und Nacht so, also scheint es weder Fenster noch Türen zu geben. Ich stelle mir den Ort immer dunkel und gruselig vor. Im Inneren fühle ich, dass es ein unheimlicher Ort sein muss, in dem viel Leid, Folter und Tod stattgefunden haben muss. Eine düstere Aura umgibt dieses Gebäude.
    
    Ich erkenne dort etwa zehn bis fünfzehn Stimmen. Vier davon sind Frauen. Eine in etwa meinem Alter, und zwei etwas Ältere. Die Älteren beschützen uns Jüngere so gut es eben geht. Manchmal bringt irgendwer jemand Fremden mit, dann ist dort Party. Die Männer sind meistens betrunken. Dann sind sie rabiat und grob. Ansonsten kann man sogar mit ihnen auskommen. Und trotzdem habe ich Angst vor ihnen.
    
    Jeder hat seine eigenen paar Quadratmeter, auf denen man sich, jeder auf seine Weise, ausbreiten kann. ...
    ... Wie unter Tieren gibt es bei den Männern schon mal "Revierkämpfe', wenn jemand kommt der den Platz des anderen besser findet, und darauf Anspruch erhebt.
    
    Aber einen echten Rückzugsort gibt es ebenso wenig wie Privatsphäre. Beim Schlafen, beim Essen, sogar beim Toilettengang muss man damit rechnen, dass jemand um die Ecke kommt, und einem dabei zusieht.
    
    Fast jede Nacht kann ich hören, wie mindestens eine der Frauen stöhnt, oder schreit. Höre das unverwechselbare, klatschende Geräusch von Sex, was manchmal sogar aus verschiedenen Räumen kommt, und an manchen Tagen sogar mehrmals pro Nacht. Ich weiß, dass die drei anderen Frauen sich für Geld verkaufen, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Sie haben auch schon versucht, mich dazu zu überreden. Ich kann das aber nicht. Es ekelt mich an, wenn ich nur daran denke.
    
    Einer der Männer hat mal versucht mich zu zwingen, aber ich habe ihn mit einer scharfkantigen Dose verletzt. Seitdem lassen sie mich in Ruhe. Ich weiß aber genau, ich muss auf der Hut sein. Sie durchwühlen meine Sachen, suchen nach Geld und was zu Essen. Jedes Mal, wenn ich abends zu meinem Lager komme, ist dort alles zerwühlt. Es gibt dort aber nichts, was für sie von Wert wäre. Alles was mir wichtig ist, habe ich immer bei mir, damit man es mir nicht wegnehmen kann.
    
    Und weil es dort so schlimm für mich ist, bin ich von morgens bis abends hier am Brunnen. Hier ist mir in der ganzen Zeit noch nie was passiert. Und hier habe ich dich kennengelernt.
    
    Ich ...
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