Salomé
Datum: 18.08.2018,
Kategorien:
Kunst,
Autor: Anonym
Die folgende Geschichte habe ich eigentlich für mich selbst geschrieben. Ich habe in ihr ein bißchen versucht, den Kern dessen einzufangen, was einseitige Nacktheit ausmacht ... ohne daß es nach zwei Absätzen nur noch ums Vögeln geht. Ich hoffe, sie gefällt euch:
An einem Abend im Februar erhielt ich einen Anruf meiner alten Freundin Carin. Wir waren ungefähr gleichalt und hatten uns in den Anfängen unserer Studienzeit beim Unisport kennengelernt. Mittlerweile waren wir seit über 10 Jahren die besten Freunde; nur die besten Freunde, denn außer in einer Nacht, in der wir beide einmal sehr betrunken gewesen waren, hatte sich in all den Jahren, was ich immer ein wenig bedauert habe, zwischen uns nie mehr abgespielt als ein paar freundschaftliche Umarmungen und Küßchen. Wie es eben so ist, wenn man für eine Frau der beste Freund ist ... Wie der Zufall es wollte, hatten uns unsere Berufe vor kurzem beide nach B., einer größeren Stadt von rund einer halben Million Einwohnern verschlagen. Carin, die Gesang studiert hatte, hatte nach einer längeren Durststrecke hier ein Engagement an der Städtischen Oper bekommen.
Sie haben mir eine Hauptrolle angeboten, endlich, das ist die Chance meines Lebens, eröffnete sie mir mit stockender Stimme. Wahnsinn, gratuliere, das ist doch großartig, fiel ich ein, aber warum klingst du denn so düster? Ich soll die Salomé in der Neuinszenierung von N. spielen. Du weißt ja, der Tanz der Sieben Schleier und so. Salomé tanzt vor ihrem Vater Herodes ...
... bis sie nackt vor ihm steht Ich ahnte, was jetzt kommen würde. N. will, daß ich mich ganz ausziehe, so wie Salomé. Aber meistens tragen die Sängerinnen da doch einen fleischfarbenen Dress oder sie behalten wenigstens einen Slip an, warf ich ein, das wird doch wohl hier auch gehen. Nein, erwiderte Carin, N. sagt, eine Sängerin könne die Rolle nur dann glaubwürdig verkörpern, wenn sie dasselbe empfindet wie Salomé. Und dazu müsse sie nach dem Tanz nackt vor dem Publikum so wie Salomé nackt vor Herodes und dem Hofstaat stand. Alles andere sei nicht authentisch.
Ich wußte, was das für Carin bedeutete. Carin war zwar alles andere als prüde, wie ich in jener Nacht hatte erfahren dürfen, aber wenn es um Nacktheit ging, sah die Sache anders aus. Da war sie extrem scheu. Gemischte Sauna kam für sie überhaupt nicht in Frage. Zum Nacktbaden hatte ich sie seit wir uns kennen nur einmal einziges Mal, an einer versteckten Badestelle überreden können. Als damals Spaziergänger vorbeikamen, hatte sie sich sofort in Panik ein Badetuch geschnappt und vor den Körper gehalten. Und jetzt sollte sie nackt auf einer Opernbühne stehen.
Ich erinnerte mich an eine Aufführung, die ich mal gesehen hatte und in der die Salomé auch für einen winzigen Moment am Ende des Tanzes nackt gewesen war. Aber doch sicher nur für einen Sekundenbruchteil, hakte ich nach, das sieht doch gar keiner so richtig. Ach, das ist es ja, antwortete Carin, ein Sekundenbruchteil wär ja schon schlimm genug, aber ich soll nach ...