1. Salomé


    Datum: 18.08.2018, Kategorien: Kunst, Autor: Anonym

    ... dem Tanz bis zum Ende nackt bleiben. N. sagt, alles andere wäre völlig unplausibel. Salomé wolle von Herodes schließlich den Kopf von Johannes dem Täufer und Macht über ihn hätte sie nur, so lange sie nackt sei. Deshalb müsse ich bis zum Ende nackt bleiben. Verstehst du, was das heißt. Zwanzig, dreißig Minuten splitternackt auf der Bühne, im vollen Scheinwerferlicht ... Alle andern, die sie für die Rolle wollten, haben deswegen abgesagt; nur deshalb haben sie ja mich gefragt. Hm, wenn das so ist, solltest du es vielleicht auch lieber lassen; sag doch auch ab, riet ich ihr. Nein, nein das geht auch nicht. Das ist meine große Chance. Ich weiß nicht, ob ich so eine Chance nochmal bekomme. Ich will schließlich nicht bis zur Rente Nebenrollen singen. Wir überlegten noch einige Zeit hin und her, ergebnislos. Sie werde nochmal drüber schlafen, sagte Carin mir schließlich.
    
    Zwei Tage später rief sie mich noch einmal an. Tonlos sagte sie: Ich hab mich entschieden. Ich mach\'s. So eine Chance bekommt man nur einmal und wenn ich mich dafür ausziehen muß, dann zieh ich mich eben aus. Das haben andere vor mir auch schon gemacht. Ist doch nichts dabei, nackt zu sein. Ein paar Leute sehen deine Möse und deine Titten, na und. Na, wenn du meinst, antwortete ich, aber ich glaube, ein bißchen machst du dir jetzt was vor. So locker nimmst du's doch nicht, wie ich dich kenne. Nein ... nein, du hast recht, stotterte sie mit unsicherer Stimme, nein, so leicht wirds nicht. Aber was soll ich ...
    ... denn machen?! Ich muß mir doch einreden, daß nichts dabei ist. Ich kann diese Chance doch nicht einfach vorbeigehen lassen.
    
    Die Proben gingen ins Land und im Herbst stand die Premiere an. Carin hatte mir eine Karte in der zweiten Reihe besorgt. Ich brauch\' heute abend seelische Unterstützung, meinte sie, als wir einen Tag vorher noch einen Kaffee trinken waren. Na, du müsstest dich doch langsam ans Nacktsein gewöhnt haben. Ihr probt doch jetzt schon seit Monaten, erwiderte ich. Ja...nein, ich habe bei den Proben immer meinen Slip und meinen BH angelassen, antwortete sie, morgen wirds ernst. Und dann gleich vor soviel Leuten. Ich weiß nicht, ob ich das packe.
    
    Am nächsten Abend ging ich mit meinem besten Anzug in die Oper. Ich muß gestehen, daß ich insgeheim nichts dagegen hatte, Carin mal wieder nackt zu sehen. Daß ich an diesem Abend nur einer von hunderten sein würde, machte mich regelrecht eifersüchtig, aber zugleich erregte es mich seltsamerweise auch, daß jetzt so viele Männer meine Freundin Carin nackt sehen würden.
    
    Die Geschichte von Herodes, Johannes dem Täufer Jochanaan in der Oper - und Salomé spielte sich ab, wie ich sie kannte. Die wunderschöne Salomé liebte den gefangenen Täufer, aber der heilige Mann verschmähte sie standhaft. Sie rang ihrem Vater ein Versprechen ab: er würde ihr jeden Wunsch erfüllen, wenn sie für ihn den Tanz der Sieben Schleier tanzte.
    
    Der Tanz begann; die Musik war erst langsam und dunkel, wurde dann aber immer härter, wilder und ...
«1234...»