1. Laycastre 01 - am Rand des Waldes


    Datum: 01.04.2023, Kategorien: Sci-Fi & Phantasie Autor: bypronstories

    Die Luft war kühl und feucht, eine wahre Wohltat nach der Hitze auf den Feldern. Norams Füße in den weichen Lederschuhen tapsten über Wurzeln und durch hohes Gras. Sein Herz pochte merklich in seiner Brust, als er zurückblickte; die anderen waren schon außer Sicht.
    
    "Von wegen verflucht!", sagte er zu sich selbst. Diese Wette würde er gewinnen und von Anele seinen Wetteinsatz bekommen: einen Kuss. Vielleicht würde auch mehr daraus werden - geküsst hatte sie ihn schließlich auch schon in der Nacht von seinem 18. Geburtstag vor wenigen Tagen... Dennoch war ihm ein wenig mulmig in der Magengrube zumute: Viele Geschichten kursierten in den Dörfern am Rande des Laycastre-Waldes. Eins war ihnen allen gemein: Wer den Wald betrat, verließ ihn nie wieder - oder war des Wahnsinns, wenn er doch wieder herausfinden sollte. Oft waren die Rückkehrer in wenigen Tagen um Jahrzehnte gealtert - oder Jahrzehnte später wiedergekommen und nur um Tage gealtert. Diese Geschichten verfehlten ihre Wirkung nicht: Niemand kannte jemanden, der jemals den Wald betreten hatte. Nicht einmal Norams Großmutter wusste davon zu berichten, und sie war fast so alt wie die Zeit selbst.
    
    "Geschichten!", knurrte er abfällig. Bis die Mittagsstunde um war, sollte er im Wald verweilen, außer Sichtweite des Randes. Nun, außer Sichtweite war er schonmal. Jetzt musste er sich nur noch ein schattiges Plätzchen suchen, um die Stunde abzuwarten. Vielleicht da vorne, das moosige Rund unter der ausladenden ...
    ... Eiche?
    
    Noram legte sich unter die Eiche und streifte die Schuhe von seinen müden Füßen. Er legte sich auf das Moos und schloss die Augen.
    
    "Das ist mein Baum!", erklang eine helle Stimme, kaum dass Noram die Lider gesenkt hatte. Er schreckte hoch und sah sich um. Kurz über ihm schwebte eine Gestalt in der Luft. Gegen das Sonnenlicht konnte er nur einen Umriss erkennen. Er blinzelte ein paar Mal und kniff sich in den Unterarm - die Gestalt blieb.
    
    "Glaub's ruhig, ich bin echt!", kicherte die Gestalt und schwebte zu Boden. Es handelte sich um ein überaus zierliches Mädchen, aus dessen Rücken blaue Flügel wie bei einem Schmetterling flatterten. Auf dem Boden war es mehr als einen Kopf kleiner als Noram, der selber nur mittelgroß war. Sie trug ein weißes, schlichtes Kleid, das sich in der sommerlichen Brise an ihren Leib schmiegte und kaum bis zur Hälfte ihrer schlanken Oberschenkel reichte. Ihre Haare waren jettschwarz und schimmerten in der Sonne. Große, spitze Ohren ragten aus dem Haar heraus. Das Kornblumenblau der sehr großen Augen passte genau zu dem ihrer Flügel; der Mund war klein und wie gemacht für das spöttische Lächeln, das spitze Zähne wie die einer Katze zeigte.
    
    "W-w-wer - was bist du?", stotterte Noram, während er sie weiter ungläubig anstarrte. "Na, eine Fee natürlich. Wen hast du sonst hier im Laycastre-Wald erwartet?", fragte das Mädchen. "Weiß nicht", stammelte Noram. "Wie heißt du?". Die Fee sah ihn abschätzend an, ohne mit dem Lächeln aufzuhören. "Das verrate ich ...
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