1. Der Seelentrinker - Teil 1 von 7


    Datum: 12.06.2023, Kategorien: Sci-Fi & Phantasie Autor: byNimmermehr

    Seelentrinker
    
    Marius
    
    Es war mal wieder einer dieser ganz besonders schlechten Tage. Ein plötzlicher Wetterwechsel, der Aufzug funktionierte nicht und Marius musste sich wohl oder übel alle drei Stockwerke langsam die Treppe herunterquälen.
    
    Sein Rollator stand oben am Treppenabsatz seiner Etage und er blickte bereits nach einigen Stufen wehmütig zu ihm zurück.
    
    Jeder Schritt tat ihm weh. Heute feuerten seine Knie schon mit den ersten Stufen. Egal wie er sich drehte oder zu entlasten versuchte...
    
    Aber der Kühlschrank war fast leer und er musste halt einkaufen.
    
    Draußen regnete es.
    
    Die letzten Tage waren schön.
    
    Er hätte früher gehen müssen.
    
    Er war sauer auf sich selbst.
    
    Aber das Gute daran war, dass wohl niemand weiter auf ihn achten würde, wenn er mit Mantel und Kapuze und Gesichtsmaske unterwegs war.
    
    In den Tagen dieses unseligen Virus sowieso nicht.
    
    Angst sich anzustecken hatte er nicht. Was sollte denn schon groß passieren? Noch schlimmer konnte es nicht werden -- und wenn doch, dann war das eher eine gottgegebene Intervention, die seinen geschundenen Körper sicher erlösen würde.
    
    Die Frage war nur, was würde aus seiner Maunzi werden.
    
    Nun, auch sie wollte etwas fressen und schon allein deswegen musste er sich aufraffen. Die Verantwortung!
    
    Jetzt regnete es etwas und er konnte gehen.
    
    Das war im Sommer kompliziert.
    
    Er hasste jetzt den Sommer geradezu. Wenn es heiß war, musste er sich passend anziehen und dann konnte er nur ...
    ... wenig verstecken. Seine Brandnarben am Arm, sein zerschnittenes Gesicht, die fehlende Nasenspitze, die Zahnlücken, seine vernarbten Beine... Seine Knie ragten eigentlich immer über seine Fußspitzen.
    
    Er konnte sie nicht mehr gerade durchdrücken.
    
    Die Menschen auf der Straße sahen ihn immer wie einen Alien an. Manche blickten ängstlich, andere angewidert, wieder andere mitleidig, doch am schlimmsten waren diejenigen, die weg blickten und ihn ignorierten.
    
    Er fühlte sich mehr wie ein Nichtmensch.
    
    In Zeiten von Corona war es jetzt wirklich besser. Masken - jeder trug sie!
    
    Aber jetzt war schon fast Mai. Der Sommer würde kommen. Bald!
    
    Alles Folgen seines Unfalls vor fünf Jahren. Es war fast auf den Tag genau vor fünf Jahren. Er wachte immer noch von Zeit zu Zeit schweißgebadet auf. Und dieser Unfall war der Startschuss. Quasi der Anfang von seinem schleichenden Ende -- körperlich und eben leider auch gesellschaftlich.
    
    Er war sehr lange im Krankenhaus und noch in der Rehaklinik machte seine Freundin Sarah mit ihm Schluss. Er konnte es fast verstehen. Sie wollte Familie und Kinder. Und schon so kurz nach dem Ereignis war klar... Er würde nie wieder der werden, der er vorher einmal war. Konnte er ihr es verübeln?
    
    Dennoch kochten auch jetzt etwas von dem Zorn und dem Hass hoch, den er immer wieder zu unterdrücken versuchte. Das Schicksal ist ein mieser Verräter. Stammte zwar nicht von ihm, aber er stimmte diesen Worten von ganzem Herzen zu.
    
    Jetzt hatte er wieder ...
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