1. Die Wiedergeburt der Katze


    Datum: 08.06.2024, Kategorien: Romane und Kurzromane, Autor: byIntersexitor

    ... aus, dass sie viele Kontakte an der Uni hatte. Das halbe Semester redete über Claire, aber selten jemanden mit ihr. Wir torkelten bereits, als wir ihr süffisant grinsend im Flur ihrer Wohnung das schmale Päckchen in violett schimmerndem Papier überreichten. Sie nahm es an sich und ich sah sie zum ersten Mal freundlich lachen. Sie lachte mich an! Vielleicht würde sie mein Geschenk noch etwas weiter auflockern.
    
    „Ich mache es gleich auf", rief sie erfreut und trat im Wohnzimmer zu einer Art Gabentisch, auf dem eine antike Goetheausgabe neben einer handgetöpferten Salatschüssel lag.
    
    Ich sah mich verstohlen um. Ein älteres Ehepaar? Ihre Eltern? Ein Mädchen mit Down-Syndrom im Rollstuhl? Eine normale Studentenfete war das nicht, resümierte ich und in meinem abgesoffenen Verstand dämmerte es, dass das mit dem Bad-Taste-Geschenk vielleicht doch keine so gute Idee gewesen war.
    
    „Ähm... Claire... es wäre vielleicht besser, wenn du das Geschenk nicht sofort...", raunte ich ihr zu und bemerkte, wie sie die Nase bei meiner Alkoholfahne rümpfte.
    
    Zu spät! Sie riss bereits das Papier auf und öffnete den Karton, während mich ein heißer Schauer durchfuhr. Es war aber keinerlei Erregung dabei, sondern nur die ernüchternde Erkenntnis darüber, dass wir viel zu weit gegangen waren. Sie erstarrte, als sie die große neunschwänzige Katze aus Leder mit dem handgeflochtenen Griff aus dem Karton zog. Es war eine wunderschöne Arbeit aus feinstem schwarzem und weinrotem Leder mit goldenem ...
    ... Ring am Knauf, was in diesem Moment, in dem die Zeit stillzustehen schien, völlig belanglos war. Claires entsetztes Gesicht war krebsrot angelaufen, während die Gäste peinlich berührt auf das Buffett, die Esszimmerlampe oder das Schuhregal starrten. Oder einfach vorgaben, ins Gespräch vertieft zu sein.
    
    „Das ist... das ist... sowas von pervers und ekelhaft!", hauchte sie und warf das BDSM-Schlagwerkzeug angewidert hinter den Ficus am Fenster.
    
    Sie schluchzte plötzlich und rannte auf den kleinen Balkon, ohne uns eines weiteren Blickes zu würdigen.
    
    „Lass uns jetzt gehen, Jonas", raunte mir Markus zu.
    
    Ich war wie erstarrt.
    
    „JETZT!", wiederholte er etwas lauter und drängte mich zur Wohnungstür.
    
    Im Späti kippten wir uns jeder noch drei Jacky-Cola hinter die Binde und unterhielten uns angeregt über Enduro-Motorräder und die Kleiderordnung im neuen Frivo-Club in Marzahn, während der Elefant im Raum Discofox tanzte.
    
    Dem letzten Treffen des Physiologie-Arbeitskreises war Claire ferngeblieben. Ich wollte mich eigentlich bei ihr entschuldigen, doch als sie einige Tage später mit eiskalter, starrer Miene an mir vorbeizog, fehlte mir der Mut. Im kommenden Semester begannen die Vorbereitungen fürs Physikum und ich büffelte meist zuhause die Prüfungsfragen, ohne Claire noch einmal gesehen zu haben. Wenn mir das Rauf- und Runterlernen der Multiple Choice-Fragen zu Kopf stieg, ging ich in die Uni-Mensa und stopfte mich mit dem faden Fraß voll.
    
    Ich balancierte eben mein ...
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