1. Reifeprüfung


    Datum: 10.06.2024, Kategorien: Betagt, Autor: bySilberstreifen

    ... schon gerne jeden Abend mit etwas älteren Leuten herum und würde viel lieber das Nachtleben genießen. Da wir doch etwas außerhalb wohnen, ist der Weg in die Stadt etwas weit und der Rückweg nach dem ein oder anderen Drink auch nur mit dem teuren Taxi lösbar. Aus unseren Gesprächen wusste ich aber, dass er auch in Frankreich kein Partygänger war. So wie er sich jetzt von Tag zu Tag immer mehr öffnete, konnte ich diese Bendenken beruhigt ablegen.
    
    Pünktlich zum Wochenende kam dann wieder einmal Alexander mit schlechten Nachrichten. Ein wichtiger Kunde im Ausland reklamierte irgendwelche technischen Themen, für die Alexanders Firma verantwortlich sei, diverse Videobesprechungen hätten keine Lösung gebracht und weil er der einzige wäre, der den Kunden davon überzeugen könnte, dass der Fehler eine andere Ursache hätte, ist eine längere Auslandsreise nötig. „Wann musst Du denn los?" fragte ich nach und in der Hoffnung, dass wir noch ein schönes gemeinsames Wochenende verbringen könnten, schockierte mich die Antwort. „Leider schon am Sonntagvormittag. Wegen den Flughafenstreiks nächstes Woche würde ich sonst einige wichtige Tage verlieren. Ich fürchte, dass ich mindestens eine Woche weg bin, da ich dort auch diverse Filialen unseres Kunden aufsuchen und deren Techniker nachschulen muss." Obwohl es nicht das erste Mal war, dass Alexander für einige Tage weg war, fühlte ich mich wie vor den Kopf gestoßen. Seit wir von unserem Urlaub zurück waren, vereinnahmte ihn sein Unternehmen ...
    ... immer mehr. Ich wünschte mir so sehr, dass wir wieder ein normaleres Leben führen konnten. Unser Lebensstandard, den wir uns von seinem Job leisten konnten, war nicht alles. Wenn Alexander von mindestens einer Woche sprach, konnte auch schnell mehr daraus werden. Nicht nur wegen der noch immer anhaltenden Hitzewelle und täglich neuen Wärmerekorden war die Luft zum Schneiden dick.
    
    Leon bekam am Rande mit, dass etwas nicht stimmte und zog sich zurück. Am Samstag lieh er sich Alexanders Fahrrad aus und verbrachte den Tag an einem nahegelegenen See. Während ich den Sonntag damit beschäftigt war, Alexanders Klamotten für die Reise zu bügeln, verbrachte Alexander die ersten Stunden des „heiligen Sonntags" in seinem Arbeitszimmer und bereitete sich auf den Kundenbesuch vor. Trotz der angespannten Stimmung schafften wir es dann doch noch, die letzte Stunde harmonisch zu verbringen, ohne sich im Streit zu verabschieden. Pünktlich um 11 Uhr klingelte dann der Taxifahrer und holte meinen Mann in Richtung Flughafen ab. Als er weg war, tat mir Alexander leid. Man sah ihm den Stress der letzten Wochen an und diese Reise war alles andere als eine Erholungstour. Trotzdem mussten wir es doch endlich wieder hinbekommen, dass wir wieder mehr Zeit füreinander finden.
    
    Waren es nur Alexanders viele geschäftliche Termine, die mich so störten?
    
    Ich begann nachzudenken und je länger ich meine Gedanken kreisen ließ, umso klarer wurde mir, dass wir anfingen, an uns vorbei zu leben. Ich vermisste ...
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