1. Weihnachten bei Buddenbrooks


    Datum: 28.10.2018, Kategorien: CMNF Autor: baer66

    ... einstimmt. Man geht ein wenig vorsichtig zu Werke dabei, denn die meisten der Anwesenden sind unmusikalisch, und hie und da vernimmt man in dem Ensemble einen tiefen und ganz ungehörigen Ton … Aber das beeinträchtigt nicht die Wirkung dieses Liedes …
    
    Weihnachtslieder, die Weihnachtsbotschaft, alles hallt wieder von Liebe, Freude und Frieden, aber sind die Menschen hier wirklich von diesem Geheimnis erfüllt oder denken sie nicht alle nur wie Christian an ihre kleine Welt, in die sie sich am liebsten zurückziehen möchten?
    
    Und dann die Bescherung. Alle Erwachsenen bewundern gebührend das Geschenk der Konsulin für ihren Enkel Hanno, ein großes Puppentheater mit Bühne, beweglichen Kulissen und Figuren. "Donnerwetter, das ist drollig!" sagt Christian, indem er den Vorhang des Theaters auf- und niederzieht und einen Schritt zurücktritt, um das szenische Bild zu betrachten. "Hast Du Dir das gewünscht? – So, das hast Du Dir also gewünscht", sagt er plötzlich, nachdem er eine Weile mit sonderbarem Ernst und voll unruhiger Gedanken seine Augen hat wandern lassen. "Warum? Wie kommst Du auf den Gedanken? Bist Du schon mal im Theater gewesen?… Und nun willst Du das nachmachen, wie? nachahmen, selbst Opern aufführen?… Hat es solchen Eindruck auf dich gemacht?… Hör' mal, Kind, laß Dir raten, hänge deine Gedanken nur nicht zu sehr an solche Sachen … Theater … und sowas … Das taugt nichts, glaube Deinem Onkel. Ich habe mich auch immer viel zu sehr für diese Dinge interessiert, und darum ...
    ... ist auch nicht viel aus mir geworden. Ich habe große Fehler begangen, mußt Du wissen …"
    
    Er hält das seinem Neffen ernst und eindringlich vor, während Hanno neugierig zu ihm aufsieht. Dann jedoch, nach einer Pause, während welcher in Betrachtung des Theaters sein knochiges und verfallenes Gesicht sich aufhellt, läßt er plötzlich eine Figur sich auf der Bühne vorwärts bewegen und singt mit hohl krächzender und tremolierender Stimme: "Ha, welch gräßliches Verbrechen!" worauf er den Sessel des Harmoniums vor das Theater schiebt, sich setzt und eine Oper aufzuführen beginnt, indem er, singend und gestikulierend, abwechselnd die Bewegungen des Kapellmeisters und der agierenden Personen vollführt.
    
    Hinter seinem Rücken versammeln sich mehrere Familienglieder, lachen, schütteln den Kopf und amüsieren sich. Hanno sieht ihm mit aufrichtigem Vergnügen zu. Nach einer Weile aber, ganz überraschend, bricht Christian ab. Er verstummt, ein unruhiger Ernst überfliegt sein Gesicht, er streicht mit der Hand über seinen Schädel und an seiner linken Seite hinab und wendet sich dann mit krauser Nase und sorgenvoller Miene zum Publikum.
    
    "Das Theater ist ein Unglück! Vielmehr die Damen des Theaters können Männer ins Verderben stürzen." Ohne weitere Erklärungen wendet sich Christian ab und eilt verstört auf sein Zimmer.
    
    Die Erinnerungen an Marie, seine erste große Liebe am Stadttheater, überwältigen ihn. Das blutjunge Ballettmädchen hat es dem Studenten sofort angetan, seit er sie einmal ...