1. Das Opfer


    Datum: 20.01.2020, Kategorien: Nicht festgelegt, Autor: byschlenzbert

    Ich machte Zivildienst in einer Einrichtung für schwer erziehbare Jugendliche und junge Erwachsene. Damit wollte ich dem Kriegsdienst entgehen, gleichzeitig aber etwas Gutes tun und anderen helfen. Gleich am ersten Tag wurde ich neugierig von einigen Jugendlichen beäugt, da ich im Sportanzug ankam und mit Gewichtbändern um Hand- und Fußgelenken ankam. Ich war in diesem Moment von denen wohl gleich für total bescheuert erklärt worden. Egal, jedenfalls gab man mir im Beisein anderer Betreuer, die teilweise ebenfalls Zivildienstleistende waren, eine Auswahl an „Patienten", denen wir uns annehmen sollten.
    
    Schnell waren alle Hefter der zu Betreuenden vergriffen und ich konnte nur das Letzte vom Tisch nehmen. Die Vermutung lag nahe, dass ich die Arschkarte gezogen und den übelsten Patienten bekommen hatte. Als ich die Mappe aufschlug, da wusste ich auch gleich warum.
    
    Der Patient war eine sie. Ich las mir die Vorgeschichte aufmerksam und konzentriert durch. Unten waren dann noch weitere wichtige Daten genannt: Neigt zu Gewalttätigkeit, schreit häufig, weint, sagt oft die Unwahrheit und solche Sachen. Als ich ihr Geburtsdatum sah, da wunderte ich mich, denn sie war eigentlich keine junge Erwachsene mehr. Ich rechnete kurz nach und kam dann auf ihr Alter. Sie war 28 Jahre alt.
    
    Als ich die Gewichtsbänder abgemacht und in meinem zugewiesenem Spind eingeschlossen hatte, ging es los. Dem Text entnahm ich, wo das Zimmer 666 war und hoffte, dass diese bezeichnende Zahl keine ...
    ... Brandmarkung pro forma war, denn dann wäre ich völlig im Arsch der Hölle. Zu meinem übertriebenen Respekt vor Frauen, die ich nur verbergen kann, wenn sie auf gewissen Abstand sind oder ich zumindest den direkten Augenkontakt vermeide, da musste ich ausgerechnet auf jemanden aufpassen, der die größte Aufmerksamkeit benötigte. Also besonders die konzentrierte Beobachtung über die Augen und nicht allein die Gespräche an sich.
    
    Schließlich stand ich vor der Tür ihres Zimmers und ging dann hinein, nachdem mir ein Wächter aufgemacht hatte und hinter mir wieder absperrte. Oh Gott, war diese Frau wirklich ein gewalttätiger Psychopath?
    
    Egal. Das Zimmer war abgedunkelt und ich fühlte mich wie in einem Horrorfilm, der meine Haare langsam aufzurichten schien, was natürlich Einbildung war; aber eine Gänsehaut bildete sich dennoch auf der Haut. „Hallo, Frau Müller?", fragte ich vorsichtig und wartete eine Reaktion ab. „Ich beginne ab heute den Zivildienst und heiße Jens."
    
    „Es ist mir scheiß egal, wie du heißt, Jens", schrie sie mich von der Seite an, wo ich sie nicht vermutet hatte. Ihre Stimme war kraftvoll, klang aber auch bedrückt und sehr verzweifelt ... auf seltsame Art.
    
    Ich schreckte zurück und drückte den Rücken an die Wand. „Jedenfalls haben Sie sich meinen Namen gemerkt", sagte ich leise und führte sie leicht absurdum, da sie, wenn ihr der Name völlig egal wäre, mir einen x-beliebigen Begriff an den Kopf geworfen hätte. Oder sie war einfach zu faul und hatte den Namen ...
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