Was du nicht siehst
Datum: 19.02.2020,
Kategorien:
Nicht festgelegt,
Autor: bymitternachtigal
... Film schreiend an der Klinke gewackelt. Aber wird es mir nützen? Hektisch -- aber immer noch ganz leise -- greife ich die Klinke erneut und drücke sie langsam nach unten. Ich ziehe...
Die Tür öffnet.
Mit einem großen Satz fliege ich förmlich in ein geräumiges lichtdurchflutetes Treppenhaus mit kalten spiegelglatten Marmorstufen. Die Treppe hinunter, zwei, drei Stufen auf einmal. Barfuß. Halte mich auf jedem Treppenpodest am gußeisernen Geländer fest und schwinge meinen sportlichen Körper um hundertachzig Grad um die Kurve. Treppe. Springen. Treppe. Springen. Vier Stockwerke, oder fünf. Ich sehe die Ausgangstür. Ich laufe geradeaus den Flur entlang. Gleich hab ich die Tür erreicht.
„Na Sie haben es aber eilig, junge Dame!"
Erschrocken drehe ich mich um. Noch zwei Meter trennen mich von der rettenden Freiheit.
Im Augenwinkel sehe ich eine geöffnete Wohnungstür mir gegenüber. Ein älteres Paar steht in der Tür. Der Herr schüttelt grimmig den Kopf: „Die Jugend von heute -- nicht einmal mehr Grüßen..." Die Dame schaut mich freundlich an und nickt mir zu. Ich halte kurz inne, ziehe mir zügig die Schuhe an die Füße und werfe der Dame den Versuch eines Lächelns zu.
Ich schlüpfe durch die Tür und tauche auf dem gut belebten Gehweg unter.
Geschafft!
Schnellen Schrittes gehe ich immer geradeaus.
Du bist noch nicht außer Gefahr, warnt mich mein Verstand. Wer auch immer könnte dich hier noch finden.
Angst, Herzklopfen, bei jedem Passanten der mir in die ...
... Augen schaut. Ich weiche ihren Blicken aus. Schaue auf den Boden. Gehe schneller. Immer weiter. Keine Ahnung wo ich bin.
Schon fünfzehn oder zwanzig Minuten bin ich unterwegs. Laufe weiter, immer noch mit hohem Tempo. Meine Füße schmerzen. Zu hoch die Absätze für ausgedehnte Spaziergänge. Durchhalten, ich muß weiter...
Plötzlich ein Kreuzung, die mir bekannt vorkommt. Ich weiß wieder wo ich bin. Nur vier Haltestellen mit dem Bus bis zu meiner Wohnung. Aber jetzt Bus fahren? Ich schaue ziemlich zerrissen aus und stinke abscheulich.
Ich gehe weiter! Auch weil mir die Vorstellung Angst macht, im Bus einfach nur bewegungslos da zu sitzen. Nichts zu machen. Nicht fliehen zu können. Ich laufe mit unvermindertem Tempo weiter.
Ich spüre, wie die enge Jeans in meinem Schritt reibt. Mehr und mehr ist das Reiben, das anfangs einfach nur da war, schmerzhaft geworden. Auch meine Brustwarzen tun immer noch auf merkwürdige Art weh, was durch die ständige Bewegung nicht gerade besser geworden ist. -- Ein seltsam stechender Schmerz, den ich zuvor noch niemals gefühlt habe. Aber auch mein gesamter Körper ermüdet langsam und wird immer schmerzempfindlicher.
Komm schon, reiß dich zusammen! Ich ignoriere die Schmerzen und die Müdigkeit und bewege mich mit energischem Schritt auf die vertraute und sichere Umgebung zu.
Unendliche Straßen. Bin ich jemals diesen Weg zu Fuß gegangen?
Und dann sehe ich meine Straße. Endlich! Noch vier Häuser, dann springe ich die Stufen zur Haustür ...