1. Unter ihrer Uniform


    Datum: 20.02.2020, Kategorien: Romane und Kurzromane, Autor: byEmaSen

    ... und linste durch die oben durchgängig verglasten Zwischenwände auf ihren verwaisten Schreibtisch. Er machte sich schreckliche Vorwürfe — lag es an ihm? Würde sie den Dienst quittieren, weil er sie schon am ersten Arbeitstag belästigt hatte? Blut schoss ihm in die Wangen, wenngleich niemand ihn beobachtete. Anderthalb Stunden nach Schichtbeginn rief er wieder Frau Back von der Rezeption an, die angab, schon den ganzen Tag Johanna nicht gesehen zu haben; und die saß immerhin am Eingang. Nach einigen bangen Stunden entschloss er sich kurz vor Mittag, nicht länger zu warten und stattdessen die übrige Zeit zu nutzen, seinen Tatort noch einmal zu besuchen.
    
    Doch im abgelegenen Hotel angekommen erwartete ihn eine weitere überraschende Enttäuschung. Offenbar hatte man gestern in beeindruckender Geschwindigkeit sowohl schon alle Spuren aufgenommen, als auch die Leiche abtransportiert. Die Männer mussten eine Nachtschicht geleistet haben, um so schnell die Spuren des blutigen Gewaltmordes zu beseitigen. Sicher hatte es ihnen da geholfen, dass die Mörderin umsichtig das Blut aufgefangen hatte -- ihm schauderte bei dem Gedanken. Jetzt begegnete ihm in dem Zimmer nur noch eine Putzfrau, die, mit gleichmütiger Miene und offenbar ahnungslos über das Geschehene, die Ecken auswischte. Etwas unschlüssig verharrte Wessels in dem Zimmer, während die Putzfrau ihn ignorierte und er sich weigerte die so rapide gewandelte Szenerie zu verlassen. Es war doch ...
    ... schließlich
    
    sein
    
    Tatort!
    
    »Überrascht?« tönte es da hinter ihm.
    
    Perplex dreht er sich um - dort stand starr an die Ecke zum Flur gelehnt die gestrenge Frau von gestern mit ihrem blonden Pferdeschwanz und dem grauen Blazer und konnte den leichten Hohn in ihrem Blick nicht vollständig unterdrücken.
    
    »Dass alles weg ist?«
    
    »Nein, wie schnell ihre Männer arbeiten können, unter der richtigen Führung.« Sie hielt einen gekünstelten Moment inne und lachte dann jovial, als hätte sie einen Witz gemacht und ihm nicht etwa gerade seine Unfähigkeit vor Augen geführt. Sie kam einen Schritt näher und streckte ihm die Hand hin, indem sie die hellbraune Aktentasche in die andere wechselte. »Ich habe erwartet, Sie hier anzutreffen. Dr. Paneolus. Ich bin die Ihnen zugeteilte Kommissarin.«
    
    »Davon weiß ich nichts. Warum teilt man mir eine Kommissarin zu?«
    
    Sie verstand die Frage offenbar anders: »Ich habe einige Jahre pausiert, um meinen Doktor zu schreiben. Deswegen besitze ich noch nicht genügend Diensterfahrung.«
    
    Sie meinte wohl, ihm damit in vertraulicher Bescheidenheit einen Makel zu offenbaren. Oder zu rechtfertigen, warum sie nicht selbst als Leitende Kommissarin den Fall innehatte,
    
    obwohl
    
    sie einen Doktor besaß. Er fand sie unsympathisch. Ihr Stil war geschäftsmäßig neutral, die Schminke saß perfekt, wies aber keinen Deut Verspieltheit auf -- Dr. Paneolus schminkte sich nur, weil man es in ihrer Position für erwartbar hielt.
    
    »Aber sie sind doch nicht nur zufällig hier, weil sie wussten, dass ich ...
«12...141516...63»