Anita und wir Episode 08
Datum: 14.03.2020,
Kategorien:
Betagt,
Autor: byPhiroEpsilon
... probieren. Zwei Wochen, normaler Gesellenlohn, und dann sehen wir weiter?" Er hielt Frank seine Hand hin.
Der schlug ein. "Danke, Meister."
"Hast du schon eine Unterkunft?", fragte Hannes.
"Nein, Meister. Ich bin gerade erst angekommen."
Ich staunte. "Zu Fuß von Eisenach bei dem Wetter?"
Er lächelte verlegen. "Nööö. Ich weiß ja, es ist nicht unbedingt zünftig, aber einer der Lieferwagen meines alten Meisters hat mich hierher mitgenommen."
Hannes lachte. "Zünftig oder nicht ist mir völlig egal. Wenn du willst, kannst du da oben wohnen."
Er wies auf die Dachwohnung über der Schreinerei. Sie hatte seit fünf Jahren leer gestanden, seit Johann, sein einziger Sohn, bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Keinem der Azubis oder Gesellen in der Zwischenzeit hatte er das angeboten.
Hannes war schon immer ein besserer Menschenkenner gewesen als ich. Er musste in diesem jungen Mann etwas sehen, das ich nicht sah.
2
"Was denkst du über den Jungen", fragte Hannes eine Woche später.
"Er stellt sich gut an", sagte ich. "Tut, was man ihm sagt, stellt intelligente Rückfragen, sagt gleich Bescheid, wenn er denkt, dass er eine Arbeit in der gestellten Zeit nicht fertigkriegen kann."
"Sollten wir ihn behalten?"
"Für sein drittes Gesellenjahr? Nichts dagegen. Wir könnten wirklich schlechtere Leute kriegen."
"Und danach? Könntest du ihn dir als deinen Chef vorstellen?"
"Hannes!"
"Ich habe nicht mehr lange zu leben. Du willst die Schreinerei ...
... nicht haben. Hast du eine bessere Idee?"
"Nach der kurzen Zeit?"
"Je früher wir anfangen, ihn darauf vorzubereiten, desto länger könnt ihr euch aneinander gewöhnen."
"Ach, Hannes!"
Er hatte natürlich Recht. Wie immer. Deswegen war er auch mein Chef und ich nicht seiner. Keiner der anderen beiden Gesellen wäre auch nur im Entferntesten geeignet. Ich wusste nicht, ob ich mit jemandem Fremden zurechtkommen würde. Einem alten Hund bringt man keine neuen Kunststücke bei.
"Er wird vielleicht gar nicht hierbleiben wollen. Er benimmt sich zwar nicht wie ein Wessi, aber er ist einer."
"Krieg's raus. Lade ihn gelegentlich mal zum Essen zu euch nach Hause ein. Lass Ilona den Jungen ausquetschen."
Ich lachte auf. Da musste ich gar nichts tun. Ihn einzuladen und sie ihn
nicht
unters Mikroskop legen zu lassen, wäre eher die Herausforderung.
"Gib mir Bescheid, falls du irgendetwas herausfindest, das ich wissen sollte."
* * *
Wir fanden schnell ziemlich viel über ihn heraus. Wie ich vermutete, brauchte ich nur nach dem Essen für meine tägliche Zigarette — ich hatte das Rauchen stark reduziert, aber nie wirklich aufgegeben — auf den Balkon zu gehen, und fand ihn danach, eine Bierflasche in der Hand, auf dem Seziertisch meiner Gattin. Sie war schon sehr tief mit ihrem Skalpell in sein Gehirn eingedrungen.
Er erzählte gerade von seinem Zwillingsbruder, den er seit zwei Jahren nicht mehr gesehen hatte, dass sie sich über ein Mädchen verkracht hatten, und das ...