1. Vier Jahre Schweigen


    Datum: 09.03.2018, Kategorien: Schwule Autor: byRolf_Udo

    ... allen Kräften dagegen wehrte.
    
    Genauso, wie in der letzten Woche, war die Zeit gekommen, wo ich aufstehen und nach Hause gehen musste. Ich hasste es, wegzugehen, wie ein geprügelter Hund. Er grinste fast, in einer hämischen Art, als ich mich erhob. Ich hatte es wenigstens versucht, obwohl er nicht mit mir gesprochen hatte. Trotzdem fühlte ich mich schuldig, als ich von ihm ging.
    
    "Ich muss gehen", murmelte ich. In Wirklichkeit wollte ich sitzen bleiben, so lange, wie der Krieg unserer Willen ausgetragen wurde.
    
    „Vielleicht seh' ich dich in der Schule."
    
    Er antwortete nicht und es tat weh.
    
    „Um dieselbe Zeit nächste Woche?"
    
    Am nächsten Samstag war ich fest entschlossen, mein Spiel ein wenig weiter zu treiben. Die Jungs am Fußballfeld fragten mich, ob ich mitspielen wollte, aber ich wollte nicht, diesmal nicht. Ich ging hinüber zu der dicken Buche und setzte mich. Die Stelle am Baum überließ ich ihm und nahm den Platz ein, an dem ich die beiden letzten Samstage gesessen und ihn angesehen hatte, nur ohne ihn.
    
    Ich hielt Wache für mehrere Stunden, dann hörte ich ihn, das unmissverständliche Geräusch eines herannahenden Skateboards. Ich zwang mich, mich nicht umzuschauen, aber als die Räder an der Stelle stoppten, wo der Asphalt den Rasen berührte, lächelte ich. Nur eine Sekunde, aber ich lächelte.
    
    Er schob sein Bord aufs Gras und setzte sich hin, belegte seinen gewohnten Platz, angelehnt an den Baumstamm. Für einen Sekundenbruchteil trafen seine Augen meine, ...
    ... dann war ich wieder Luft für ihn, und er sah beiseite. Ich sah ihn an, fand die kleinen Zeichen, die ihn zu Niklas machten. Einige Dinge konnte er nicht unterdrücken, so sehr er es auch versuchte.
    
    Es wäre überheblich von mir gewesen, nur zu denken, dass er jetzt ein Gespräch mit mir beginnen würde, wenn es auch nur ein ‚Geh zur Hölle' gewesen wäre, aber irgendwie musste ich es doch versuchen. Auf eine gewisse Art und Weise brauchte ich ihn, wenn ich auch wusste, dass ich selbst ihn in den letzten vier Jahren fast zerstört hatte, den Niklas, den ich gekannt und geliebt hatte.
    
    Der Frühling war fast zu Ende, und es war an diesem Nachmittag wärmer als lange Zeit zuvor. Ein warmer Wind kreiste um uns, versuchte uns zu erinnern, dass es bald Sommer wurde. Ich fragte mich, als ich ihn da sitzen sah, wo er den Großteil seiner Zeit verbrachte, was er tat in seinen Tagen und Nächten, und woher er regelmäßig kam, wenn er pünktlich jeden Samstagnachmittag unter diesem Baum saß.
    
    Ich hatte nicht das Recht, zu fragen, und wenn ich es doch tun würde, würde er nicht antworten. Ich hoffte, er würde mit mir sprechen, wenn er bereit dazu war, nicht früher oder später. Außerdem war ich neugierig, wie er reagierte, wenn ich nicht vor ihm aufstehen würde, sondern mit ihm diesen Platz verließ. Ich hatte meiner Mutter gesagt, sie solle nicht mit dem Abendessen warten, weil ich den ganzen Tag beschäftigt wäre.
    
    So saß ich da, seit zehn Uhr morgens, ganz allein, bis er kam und sich schweigend ...
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