1. Rapunzel 03


    Datum: 11.06.2018, Kategorien: Romane und Kurzromane, Autor: byJoanWilbury

    ... seiner rechten Hand das Blut auf den Boden tropfte. Als er den Kopf wandte und Tanitas Blick suchte, stöhnte sie leise auf. Er sah aus, als hätte er all die Gewalt, die er eben ausgeteilt hatte, selbst einstecken müssen. Er schlug die Augen nieder, verbarg den Ausdruck von Schmerz und Trauer darin und schlurfte mit gesenktem Kopf zum Sofa, dem einzigen Möbelstück, das hier noch an seinem Platz stand.
    
    In diesem Moment klingelte es an der Tür.
    
    Sie zuckte zusammen. Unsicher schaute sie zu Mick, aber der hatte sich aufs Sofa fallen lassen und tat, als hätte er nichts gehört.
    
    Es klingelte ein zweites Mal, zusätzlich ertönte ein energisches Klopfen. Tanita erhob sich langsam, zog sich auf dem Weg zur Tür noch die Jacke aus und hängte sie an der Garderobe auf. Vor der Tür standen zwei Polizisten, ein Mann und eine Frau.
    
    „Guten Abend. Uns wurde gemeldet, dass aus Ihrer Wohnung extremer Lärm kommen soll, als würde jemand Möbel zerschlagen oder ähnliches."
    
    Wer hatte da wohl angerufen?
    
    Tanita schüttelte den Kopf. „Nein, hier ist alles in Ordnung. Ich hatte vorhin wohl zu laut den Fernseher an, tut mir Leid."
    
    Die Polizistin musterte sie eingehend. „Sind Sie alleine?"
    
    „Im Moment schon", log sie, ohne nachzudenken. „Mein Freund kommt später von der Arbeit."
    
    „Na ja", meinte der Polizist, schon wieder im Begriff, zu verschwinden, „jetzt ist hier ja alles ruhig. Bitte stellen Sie Ihren Fernseher in Zukunft nicht mehr so laut -- muss ja nicht sein, dass Sie sich ...
    ... mit Ihren Nachbarn in die Wolle kriegen, auch wenn jetzt ja noch keine Ruhezeit ist."
    
    „Sicher", antwortete Tanita und schaffte sogar ein Lächeln. Sie hatte es tatsächlich fertig gebracht, zu lügen ohne rot zu werden. Trotzdem war die Frau im Gegensatz zu ihrem Kollegen nicht völlig überzeugt, dass alles seine Ordnung hatte.
    
    „Eigentlich würde ich gerne noch einmal kurz reinkommen", sagte sie mit leicht gerunzelter Stirn.
    
    Geistesgegenwärtig verkniff sich Tanita eine zu abwehrende Reaktion, sie probierte stattdessen einen erstaunten Augenaufschlag.
    
    „Wegen des Fernsehers?"
    
    „Ach, Unsinn", entgegnete der Polizist ungehalten, aber eher in Richtung seiner Kollegin. „Die Sache, wegen der wir her zitiert wurden, hat sich doch mal wieder erledigt. Möbel zerschlagen... ältere Leute übertreiben gern, wenn es um sogenannte Ruhestörung geht, das kennen wir doch schon."
    
    „Wie gesagt, es tut mir Leid", versicherte Tanita. „Ich geb mir Mühe, künftig drauf zu achten."
    
    „Na siehste. Komm, lass uns weiter."
    
    Widerstrebend wandte sich die junge Polizistin zum Gehen. „Okay. Falls irgendetwas sein sollte -- rufen Sie uns", schärfte sie ihr ein.
    
    Tanita nickte nur, wünschte den beiden noch einen ruhigen Dienst und schloss aufatmend die Tür. Gerade noch mal gut gegangen. Wie hätte sie der Polizei schon erklären sollen, was passiert war?
    
    Aus dem Küchenschrank holte sie ein sauberes Geschirrtuch und ging damit ins Wohnzimmer. Mick saß unverändert auf dem Sofa, die verletzte Hand ...