1. Der lila Duft des Lavendel


    Datum: 07.06.2021, Kategorien: Erstes Mal Autor: byfreudenspender

    ... Patienten aufbauen. Ich will nicht sagen, dass ich gefühlskalt bin. Würde man allerdings jedes Patientenschicksal an sich heranlassen, würde man früher oder später daran zerbrechen. Als Arzt hat man immer wieder mit hochemotionalen Situationen zu tun und baut fast automatisch einen Panzer um sich herum auf.
    
    Es ist echt nicht einfach, einem Menschen zu sagen, dass er oder ein Angehöriger sterben wird. Das hat mir am Anfang viele schlaflose Nächte bereitet. Beim Studium lernt man sehr viel über den menschlichen Körper, aber auf so eine Situation wird man nicht vorbereitet. Ich habe mir eingeredet, es werde irgendwann zur Routine. Das stimmt nicht! In Wirklichkeit ist es wohl eher so, dass ich das Ganze einfach nicht mehr an mich herangelassen habe.
    
    Das hat wohl auch meine bisherigen Beziehungen und Frauenbekanntschaften geprägt. Ich war immer nur auf ein Abenteuer, auf meine sexuelle Befriedigung aus. Die große Liebe war es bei keiner und ich habe mich gefragt, ob ich überhaupt in der Lage bin, tiefere Gefühle zuzulassen. Ich habe mir immer eingeredet, dass mir deshalb auch das Schlussmachen nie viel ausgemacht hat. Egal von wem es letztendlich ausging.
    
    Wenn ich mein bisheriges Leben anschaue, könnte man tatsächlich zum Schluss kommen, ich sei gefühlsmäßig abgestumpft. Wie passt dann das tiefe Mitgefühl ins Bild, das ich Vera gegenüber empfinde? Ich bin noch nicht abgestumpft, ich habe Gefühle!
    
    Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf, während ich im Bett liege und ...
    ... an die Decke starre. Vera hat mir einen schüchternen Gutenachtkuss auf die Wange gedrückt, als wir uns an der Zimmertür getrennt haben. Auch das beschäftigt mich.
    
    Warum kann ich nicht schlafen? Ist es die neue Umgebung? Ich habe doch sonst nie Probleme, nicht Zuhause zu schlafen. Ich bin nicht empfindlich und brauch nicht unbedingt mein eigenes Bett. Auch die Krankheit und der nahe Tod meines Onkels gehen mir nicht besonders nahe. Dazu habe ich ihn zu lange nicht mehr gesehen.
    
    Ist es Vera? Sind es die Gefühle, die sie in mir weckt? Noch nie hat mich eine Frau bis in meine Träume verfolgt. Vera tut es! Ich träume davon, dass wir Hand in Hand über ein Lavendelfeld laufen und sie lacht mir vergnügt zu. Wow! Für dieses Lachen könnte ich morden! Es ist nicht nur dieses Lachen, es sind auch ihre bernsteinfarbenen Augen, die mich in ihren Bann ziehen. Sie sieht mich damit so unglaublich verliebt an. Sie strahlt, ihre Trauer ist wie weggeblasen. Aber das sind leider nur Träume. Darin taucht sie in dieser Nacht unzählige Male auf und lacht mich mit ihren strahlenden Augen verliebt an.
    
    Ich bilde mir ein, ich bekomme so zumindest einen Eindruck davon, wie sie wohl sein kann. Das Lächeln und die strahlenden Augen wird sie mit Sicherheit haben. Ob ihr verliebter Blick mir gilt oder ob es nur Wunschdenken ist, das kann ich nicht sagen. Doch ich will es herausfinden, dazu bin ich fest entschlossen.
    
    Mit dieser Gewissheit schlafe ich dann doch endlich ein und gleite in einen tiefen ...
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