Argonauta Kapitel 01-02
Datum: 29.06.2018,
Kategorien:
Romane und Kurzromane,
Autor: byPanthera_tigris
... hatte kurz ihren Chef angerufen. „Prof?", hatte sie am Telefon den Sachverhalt erklärt, „es geht um Ihren Termin mit Miss Adler ... Ja genau, die junge Doktorandin aus Deutschland ... Ja, Chef, sie ist jetzt hier ... soll ich sie zu Ihnen schicken? ... Alles klar, Chef." Die Sekretärin hatte aufgelegt, gelächelt und Julia dann geantwortet: „Prof. Fisher weiß Bescheid. Er möchte sich wie besprochen nach der Vorlesung mit Ihnen treffen und lässt Ihnen ausrichten, dass er Sie zum Essen selbstverständlich einlädt."
Und nun war Julia also auf dem Weg zum Vorlesungssaal, in dem Prof. Fisher in fünf Minuten seine Vorlesung beginnen würde. Die Sekretärin hatte Julia eine kurze Lagebeschreibung mit auf den Weg gegeben.
Auf ihrem Weg kamen Julia einige Studenten entgegen, die sich wild gestikulierend miteinander angeregt unterhielten. Zwei von ihnen fielen Julia besonders auf: eine junge Frau mit langen blonden Haaren und ein junger Mann, der schüchtern ihre Hand griff. Als das Mädchen das bemerkte, errötete auch sie, dann lächelten die beiden einander mit einer Mischung aus Freude und Scham an. Offenbar waren die beiden ein frisch verliebtes Pärchen. Wie oft waren sie und Tom genau wie dieses Paar glücklich Hand in Hand über den Campus in Leipzig gelaufen?
Plötzlich war er wieder da, der Schmerz mitten in ihrer Brust. Das beklemmende Gefühl unvollständig zu sein.
Ein Teil von mir fehlt
, dachte sie.
Mit einer unbewussten Bewegung fuhr sie sich an den glänzenden ...
... Gegenstand, der den Ringfinger ihrer linken Hand zierte. Toms Ring. Das letzte Erinnerungsstück. Er hatte den Weißgoldring mit dem kleinen Brillanten für sie anfertigen lassen. Es hätte ihr Verlobungsring werden sollen, doch er hatte ihr die alles entscheidende Frage nie gestellt. Niemals stellen können. In den ersten Tagen hatte Julia den Ring selbstverständlich getragen. Dann war eine Zeit gefolgt, in der sie sich die Frage gestellt hatte, ob es nicht komisch sei, immerhin war der Ring niemals für seine eigentliche Bestimmung zum Einsatz gekommen. Am Ende hatte sie sich entschieden, ihn dennoch immer bei sich haben zu wollen. Und das hatte sie auch getan und seit nun schon fünf Jahren war das kleine Schmuckstück, das letzte Andenken an Tom, ihr ständiger Begleiter.
Julia hatte das Hörsaalgebäude erreicht und wurde aus ihren Gedanken gerissen. Sie trat durch ein imposantes Portal des aus Sandsteinblöcken errichteten Bauwerks, orientierte sich kurz anhand des Übersichtsplans und machte sich dann auf den Weg zum Hörsaal.
Wenig später saß Julia Adler inmitten einer Masse von Studentinnen und Studenten, einer laut murmelnden Menge und mitten drin, in der schützenden Hülle der Anonymität Julia. Sie war zu einer von vielen geworden. Klein und unbedeutend. Kaum sichtbar. Genau so, wie sie sich seit Jahren fühlte.
Sie hatte in der letzten Reihe des großen Hörsaales Platz genommen. Wie in einem Amphitheater waren die einzelnen Ränge etagenartig in einem Halbkreis angeordnet. Die ...