Der Pianist und das Mädchen
Datum: 13.03.2022,
Kategorien:
Romantisch
Autor: Dingo666
... Murmeln des Auditoriums blieb, ahnungsvoll und von einer verborgenen Spannung erfüllt.
Er wusste, seine Mutter saß in der zweiten Reihe. Die Hände im Schoß ineinander verkrampft, der Rücken kerzengerade durchgedrückt, die Aufmerksamkeit ausgerichtet wie mit einem Zielvisier. Auf ihn, der er oben alleine auf der Bühne saß, genau im Zentrum des einzelnen Scheinwerferkegels. Er wusste auch, dass andere wichtige Leute unten saßen. Dirigenten, Orchesterchefs, Musikmanager. Die Menschen, die ihm einen Job anbieten konnten. Oder die das nicht tun würden, ganz wie es ihnen beliebte. Seine Finger legten sich von selbst auf die Tasten. Er spürte die vertraute Härte unter den Kuppen und wusste exakt, wie sie auf seine Anschläge reagieren würden.
Das war er. Der zentrale Moment. Der Augenblick, auf den er fünf Jahre hin studiert hatte. Fünf Jahre, die im Rückblick ausschließlich aus den Stunden auf dem Hocker und den Noten vor ihm zu bestehen schienen. Warum empfand er nicht mehr? Weshalb erschien ihm das alles so nebensächlich? So irrelevant im Vergleich zu den Klängen seiner inneren Musik, die stumm zwischen seinen Schläfen hallte.
Das Raunen der Menge verstummte, machte einer erwartungsvollen Stille Platz. Blind, mit noch geschlossenen Augen, schlug er den ersten Akkord an. Er hatte am Vorabend eine Sinfonie von Dvořák ausgesucht und damit heimlich den seit Monaten tickenden Entscheidungsprozess seiner Mutter gekippt. Sie hatte Mozart für ihn gewählt. Mozart passte ...
... schließlich immer.
War sie das, die da unten so überrascht Luft holte? Oder alle diejenigen im Publikum, die das Programm gelesen hatten und jetzt verwirrt nachblätterten, weil Mozart sich plötzlich so anders anhörte?
Seine Hände tanzten. Sie kannten die Partitur, sie brauchten ihn nicht. Mechanisch und perfekt arbeiteten sie sich durch das Werk. Wie üblich übertönte die äußere Musik die innere, ohne sie völlig zum Schweigen bringen zu können.
Sein Kopf war frei. Frei zum Schweben, zum Träumen. Zum schwerelosen Schwingen. Er dachte an Aurie, natürlich. An die Nacht. An ihre Schönheit. Daran, wie sich ihre Haut an seinen zitternden Händen angefühlt hatte. Wie ihr Atem in seinen Mund gefahren war, wenn sie sich geküsst hatten. Wie sie sich unter ihm geräkelt und ihn umschlungen hatte. Das war so viel wichtiger als dieser dumme Auftritt.
Von Ferne registrierte er, dass auch seine Finger sich erinnerten. Das pure Leben, das er mit Aurie geschmeckt hatte, schien aus seinen Lenden durch den ganzen Körper auszustrahlen. Bis in die Fingerspitzen hinein. Und weiter, in die Tasten, in die Mechanik, die Saiten.
In die Musik.
Überraschte Atemgeräusche aus dem Publikum. So weit weg wie Planeten in einer anderen Galaxie, und ebenso unbedeutend.
Er fühlte wieder die wie zum Bersten gefüllte Energie, den elektrischen Strom, der ihn erfasst hatte, als er mit Aurie im Gras lag. Seine Hände hieben auf und ab, trafen mit traumwandlerischer Sicherheit die richtigen Stellen, ...