Der Pianist und das Mädchen
Datum: 13.03.2022,
Kategorien:
Romantisch
Autor: Dingo666
... meißelten die Klänge aus der Luft heraus wie aus einem Granitblock.
Er musste dazu nichts sehen. Nein, die Augen hätten nur gestört, würden ihm lediglich Unwichtiges zeigen. Noten zum Beispiel, die ihn auf falsche Fährten locken. Stattdessen gab er sich rückhaltlos der Strömung hin. Er ging mit, floss wie Tang in der Bewegung, dachte nicht. Der Klang schwoll an, nahm mehr und mehr Raum ein, schien die gesamte Halle auszufüllen und darüber hinaus zu fluten.
Und zum allerersten Mal stimmten seine innere Musik und das, was er spielte, absolut überein! Beide Tonströme schwangen in lupenreiner Synchronität nebeneinander, miteinander, ineinander.
Es war, als ginge mitten in seiner Stirn ein gewaltiges Tor auf und Licht fiele hinein. Sommersonne seinen tiefsten, innersten Kern. Jeder Sonnenstrahl vibrierte wie eine Saite, steuerte seinen eigenen Ton zu dem anwachsenden Crescendo bei.
Hatte Dvořák wirklich solche Stücke geschrieben? Stücke, in denen man mit beiden Fäusten und mit voller Kraft auf die Tasten einhämmern sollte? In denen der Pianist mit zitternd verkrampften Beinen dastand und auf sämtliche Oktaven gleichzeitig spielen musste? In der die komplette, feinstens austarierte Mechanik des Flügels ächzte und stöhnte? In der das Instrument Klänge von sich gab, die nicht von dieser Welt stammen konnten?
Doch selbst das waren recht nebensächliche Fragen. Sie tanzten kurz am Rande seines Bewusstseins entlang, wie Motten um ein loderndes Feuer. Genauso schnell ...
... wurden sie auch wieder verschlungen.
Er lag auf Aurie, zwischen ihren sehnsüchtig gespreizten Schenkeln, presste sich an ihren mahlenden Unterleib. Köstliche, weiche Formen unter seinen Händen, erfüllt von den Sphärenklängen jungen Fleisches. Ihr Keuchen, ihr Wimmern dicht an seinem Ohr, ein Widerhall des verschollenen Paradieses. Die schönste Modulation, die er je hören durfte, oder sich nur vorstellen konnte. Sein von selbst pumpender Körper, durchströmt von einer Begierde, so rein und klar und urtümlich wie ein Gletschergebirgsbach.
Der Flügel schrie. Seine Arme hackten, seine Hände tobten. Die Finger rasten über die Tasten und fanden mit traumwandlerischer Sicherheit den richtigen Druck, den stimmigen Sekundenbruchteil. Die Resonanz schwang höher, immer höher, in sich brandungsähnlich überschlagenden Kadenzen und Variationen, näher an die gleißende Sonne heran, die ihm direkt in seinen Kopf zu strahlen schien.
Bis zum.
Höhepunkt.
Dem Moment, in dem alles zum Stillstand kam. Alles übereinstimmte. Alles richtig war, so absolut perfekt. Jean-Luc lachte lautlos auf, ohne einen Ton auszulassen.
Das Stück dauerte noch mehrere Minuten. Zeit, in denen er sich und die Musik wieder tiefer schraubte. Zeit, die er und die Musik brauchten. In der sie zusammen leiser werden konnten, und langsamer, und feiner. Sein Mund bog sich in einem weiten Lächeln und er sank auf die Kante seines Hockers zurück. Er ruhte auf Auries schlankem Leib und spürte der ablaufenden Ebbe der ...