Wenn die Nachtigall erwacht 06
Datum: 21.03.2018,
Kategorien:
Sci-Fi & Phantasie
Autor: by_Faith_
... S-Bahn-Station. In einer Bäckerei, die auf dem Weg lag, kaufte sie eine Tüte voller Teigstückchen mit Quarkfüllung und Zuckerglasur -- sie fühlte sich total ausgehungert. Nach dem ersten Bissen legte sie das Gebäckteilchen zurück zu den anderen und verstaute alles in ihrer Handtasche -- sie bekam keinen Bissen runter. Neben dem Hunger war ein seltsam flaues Gefühl in ihrem Magen. Zu Sven waren es nur wenige Minuten Fußmarsch und doch war er plötzlich sehr weit weg.
»So ein Mist!«, fluchte sie. Vor einer Stunde war noch alles perfekt gewesen. Vor ihnen hatte ein gemeinsames Wochenende gelegen, ein Wochenende voller gemeinsamer Entdeckungen. Und jetzt?
Sie stellte sich mit verschränkten Armen in das Wartehäuschen der S-Bahn und hielt nach dem Zug Ausschau, der sie in die Innenstadt bringen würde -- nach Hause wollte sie nicht. Sie hatte sich Sven als Blaue Königin offenbart und er hatte es bestmöglich aufgenommen. Gerade als ihre größte Sorge in der Beziehung zu Sven ausgeräumt war, kam ihr dieses blöde Gang-Bang-Thema in die Quere.
Nach der überschwänglichen Zuversicht, die Miriam heute Nacht geschöpft hatte, kamen ihr jetzt Zweifel, ob Sven die ganze Wahrheit verkraften könnte. Wie sollte sie ihm klar machen, dass V'nyx der IV. mehr war, als eine übergroße Zimmerpflanze? Und wie sollte sie Sven glaubhaft vermitteln, dass ihre intimen Interaktionen mit dem Cerebrat nicht in Konkurrenz zu ihm standen? Die ekstatischen Erlebnisse in der Anderswelt waren wohl das ...
... ultimative Horrorszenario für einen monogam eingestellten Mensch.
Trotz des blauen Himmels wehte ein kühler Wind durch die Straßen. Miriam zog den Rollkragen bis unter ihre Nasenspitze und roch Svens Duft. Sie spürte ein kurzes Echo des letzten Aktes durch ihren Unterleib zucken, als sie an der Bahnsteigkante stehen blieb.
»Ich habe mich doch schon längst für ein menschliches Leben entschieden«, flüsterte sie, »auf dieser Welt werde ich nie eine Königin mit eigenem Volk sein können, das würden die Menschen nicht zulassen. Und der dunkle Wald in der Anderswelt geht mich nichts an: Ich muss mit dem Quatsch wieder aufhören, bevor es zu spät ist.« Mit entschlussfester Stimme sagte sie: »In dieser Welt ist kein Platz für meine Art. Ich bin als Mensch geboren und ich werde als Mensch sterben -- um des Friedens willen.«
»Aber nicht an dieser Haltestelle!«, krächzte ein verlebter Landstreicher, der auf dem Boden saß und sich den letzten Schluck in seiner Schnapsflasche für einen besonderen Moment aufheben wollte. Miriam blickte sich um und schaute in trübe Augen.
»Spring vor einen Schnellzug, das geht schneller und ist sicherer, als bei den lahmen Straßenbahnen«, sagte der Mann, dessen Alter kaum einzuschätzen war.
»Ich habe überhaupt nicht vor, mich umzubringen«, erklärte Miriam. Sie zog die Tüte mit dem Gebäck aus ihrer Handtasche und ging vor ihm in die Hocke.
»Magst du was essen?«, fragte sie höflich.
In seinen Augen flammte kurz Misstrauen auf, dann nahm er die ...