1. Die Wiedergeburt der Katze


    Datum: 08.06.2024, Kategorien: Romane und Kurzromane, Autor: byIntersexitor

    ... Patientendokumentation einzuweisen und rauschte mit wehendem Kittel hinaus.
    
    Claire und ich saßen am späten Nachmittag mit gebührendem Abstand nebeneinander im Stationszimmer und gingen die Patientendokumentationen durch, ohne uns direkt anzusehen. Der Tag war unangenehm verlaufen, und das war noch gelinde ausgedrückt. Meist war sie wortlos und mit gesenktem Blick vorausgeeilt, hatte stakkatohaft dies und das erklärt, nur um gleich wieder zu verschwinden. Die Anstellung in Storchenzell war mir schon jetzt gründlich verleidet und vielleicht sollte ich eher bald die Notbremse ziehen und die Zelte vorzeitig abbrechen.
    
    „Jonas? Die Dosierung des Fentanyl-Pflasters bei Hrn. Trautmann! Kann die sooo stimmen?", riss sie mich mit abfälligem Blick aus meinen Grübeleien.
    
    Ich bemerkte entnervt den Zahlendreher und dachte bei mir, dass die Patientensicherheit auf keinen Fall unter so einer Situation leiden durfte. Ich sah sie verstohlen von der Seite an. Sie hatte sich eigentlich kaum verändert, war vielleicht etwas kantiger im Gesicht geworden. Ihre Lippen waren jedoch schmal und ihre Mundwinkel schienen manchmal zu beben. Manchmal hatte ich den Eindruck, sie krümmte sich vor Schmerz in Anbetracht meiner Anwesenheit. Es gab eigentlich nur eine Möglichkeit, sonst konnte ich gleich morgen früh kündigen. Flucht nach vorn!
    
    „Es tut mir leid!", sagte ich bestimmt in ihre Richtung.
    
    Sie blickte nicht von ihrer Mappe auf.
    
    „Es tut mir leid, Claire! Es war dumm von mir. Ich ...
    ... entschuldige mich. Und du weißt ganz genau weswegen", sagte ich etwas lauter.
    
    Ihre Mundwinkel zuckten nervös und ihre Hände begannen zu zittern.
    
    „Ja", presste sie zwischen den Zähnen hervor und stand abrupt auf.
    
    „Morgen früh zeige ich dir als erstes, wie unser Ultraschallgerät bedient wird", rief sie bei ihrer Flucht aus dem Stationszimmer.
    
    „Zwei sooo nette junge Ärzte", flötete die Patientin mit dem Gallengangskrebs, als mir Claire die Funktionen des Ultraschallgeräts zeigte. Heute gab sie sich ein wenig verbindlicher, wenn auch nicht freundlich. Ob wir am Ende doch noch ein passables Team abgeben würden? Die Patienten mochten sie, das war mir bereits bei der ersten Visite klargeworden. Sie hatte eine einfühlsame, herzliche Art, die ich ihr früher nicht zugetraut hätte. Zu der Entschuldigung von gestern Abend sagte sie nichts und beim Essen mied sie meine Nähe.
    
    Nach vier Wochen fand ich mich ganz gut allein auf der Abteilung zurecht und meine Arbeit gab offensichtlich keinen Anlass zur Kritik. Dr. Häberle begegnete mir bei den Visiten jedenfalls immer freundlich, hakte nur bei Kleinigkeiten nach und schien zufrieden mit Claires und meiner Leistung.
    
    „Sie machen das beide sehr, sehr gut. Die Patienten sind voll des Lobes über Ihre Arbeit", hatte er vorgestern uns gegenüber nach der Visite geäußert.
    
    Ich lächelte erfreut, während Claire sauertöpfisch zu Boden blickte. Sie wirkte nicht glücklich über das Lob, das an uns beide gemeinsam adressiert war.
    
    *
    
    Nach ...
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