1. Die Wiedergeburt der Katze


    Datum: 08.06.2024, Kategorien: Romane und Kurzromane, Autor: byIntersexitor

    ... dämmerte es mir. Sie war verliebt! Claire hatte sich in mich verliebt! Was sollte ich nur tun? Ich war schließlich nicht in sie verliebt. Es war doch nur Zufall gewesen, dass ich mich im Hörsaal in Berlin immer gezielt hinter sie gesetzt hatte, um einen direkten Blick auf ihre kalte Schulter zu haben. Dass ich mich in der Mensa immer in ihre Nähe gesetzt hatte, um ihr hübsches Gesicht und die schönen Haare sehen zu können. Dass ich mich damals, um ihr bei den Hausarbeiten zu helfen, als erster gemeldet hatte? Alles nur eine Laune des Augenblicks. Oder doch nicht? Fiel bei dieser Nachhilfestunde nicht auch der Name ihres Onkels und der Ortsname Storchenzell, der bei der Stellensuche dann wieder in mein Vorbewusstsein gerutscht war? Und dann diese ewigen obsessiven Träume von ihr, der einzigen Frau von der ich jemals so viel geträumt hatte. Ich musste mich endlich der Wahrheit stellen, die ich bisher erfolgreich verdrängt hatte. Ich liebte Claire. Eigentlich liebte ich sie sogar schon sehr, sehr lange.
    
    Die Erkenntnis traf mich allerdings doch einigermaßen unvorbereitet. Ich bremste, stieg vom Rad und überschlug meine Möglichkeiten. Natürlich war ich Claire im Hier und Jetzt sehr zugetan, aber eine Beziehung zu ihr war immer etwas Abstraktes in meinem Kopf gewesen. Bis zu ihrer Geburtstagseinladung hatte ich trotz meiner heimlichen Obsessionen nie einen Gedanken daran verschwendet, dass sich zwischen uns in der Realität etwas ergeben könnte. Und jetzt das!
    
    „Scheiße", ...
    ... murmelte ich, als mir klargeworden war, dass ich jetzt nicht weiter nach Hause fahren würde.
    
    Zu tief hatte sich Claires Geschichte bereits mit der meinen verwoben, um sie jetzt einfach abzukanzeln. So durfte es nicht enden! Das hatte ein Mensch wie Claire nicht verdient. Nachdem ich seufzend mein Fahrrad gewendet hatte und aufgestiegen war, trat ich kräftig in die Pedale und strebte zurück zu ihrer Wohnung. Wie eine Motte, die zum Licht gezwungen wird. Mein Zeigefinger zitterte, bevor er sich auf den Klingelknopf senkte.
    
    „Hast du was vergessen, Jonas?", fragte sie mit resignierter Stimme, nachdem sie mir unten geöffnet hatte und ich die Treppe hinaufgeeilt war.
    
    Sie hatte in der Zwischenzeit ihre leichte Laufhose und eine ärmellose, neongelbe Laufweste übergestreift. Ihre Augen waren stark gerötet und ihr Make-up zerlaufen, sie musste heftig geweint haben!
    
    „Ja", sagte ich schlicht und schloss sie ganz sanft und ohne zu viel Druck in die Arme und presste meinen Mund auf den ihren.
    
    Wir taumelten, während wir uns ineinander verbissen, und ich stieß die Haustür hinter mir mit dem Fuß zu. Während unsere Zungen miteinander tanzten, schoben wir uns meterweise ins Wohnzimmer Richtung Sofa, holten erst Luft, als wir uns darauf fallengelassen hatten. Nachdem wir zehn Minuten etwas verkrampft nebeneinandergesessen waren, ohne dass sich unsere Lippen voneinander gelöst hätten, entspannten wir uns. Ich machte mich lang und sie kam auf mir zum Liegen. Nach mehreren Minuten ...
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