Kometenhaft 43
Datum: 20.06.2024,
Kategorien:
Sci-Fi & Phantasie
Autor: byBerndBreadt
... "Blödes Miststück!" und "Dreckschwein!" waren bald schon die harmlosesten Beschimpfungen, die da drüben durch die Luft flogen. Zum Schluß flogen dann offensichtlich auch noch Gegenstände und man hörte zerschmetterndes Geschirr und dumpfe Schläge gegen die Wand.
Zu dem Zeitpunkt stürmten wir schon zu fünft in das Treppenhaus, weil wir Angst hatten, dass da drüben gleich ein Mord passiert. Und schon riß jemand die Tür zur Nachbarswohnung auf. Es war der Freund unserer Nachbarin, beladen mit einem großen Rucksack und einem noch größeren Koffer. Sein wutverzerrtes und hochrotes Gesicht schrie noch einmal in die Wohnung: "Du verklemmte Drecksfotze!", dann stürmte er an uns vorbei und die Treppen hinunter. Kurz danach kam auch Xiaoli herausgerannt, lehnte sich über das Treppengeländer und schrie ihm hinterher: "Verschwinde zu deiner blonden Hure! Ich will dich nie wieder sehen!", gefolgt von ein paar chinesischen Aussprüchen die natürlich keiner verstand.
Dann hing ihr Körper plötzlich schlaff über das Geländer und wehleidiges Heulen war durch das ganze Treppenhaus zu hören. Ebenso wie der Knall der heftig zufallenden Haustür.
Hm, ich habe noch gar nichts zu unserer Nachbarin erklärt. Macht das in einem Tagebuch eigentlich Sinn? Ich meine, ich kenne sie ja schon. Andererseits merke ich, wie schreiben mich beruhigt und von der Nachricht von vorhin ablenkt, also:
Unsere Nachbarin, Xiaoli (sprich: Schau-lie), ist eine waschechte Chinesin. Sie kam vor etwa sechs Jahren ...
... nach Deutschland, um hier zu studieren, was genau, kann ich derzeit nicht sagen, ich glaube, Wirtschaftsingenieur. Allgemein weiß ich nicht viel von ihr, da sie ziemlich zurückgezogen lebt. Ich traf sie auch früher, wenn überhaupt, nur im Treppenhaus. Auf ein freundliches "Hallo" kam meist nur eine sehr zaghafte Antwort und dann sah sie zu, dass sie so schnell wie möglich weiter kam. Zu diesem Zeitpunkt kannten wir ihren Namen nur, weil wir ihn vom Klingelschild abgelesen hatten.
Erst ein Jahr, nachdem sie uns gegenüber eingezogen war, schaffte Andrea es, sich mal länger im Treppenhaus mit ihr zu unterhalten. Seiher wissen wir, dass sie alleine mit ihrer Mutter in einem Südchinesischen "Dorf" mit gerade einmal 50.000 Einwohnern aufgewachsen ist. Ihr Vater war kurz vor ihrer Geburt an Krebs verstorben, daher hat sie ihn nie kennen gelernt. Ihre Mutter gab sich alle Mühe, ihrer Tochter eine gute Schulbildung zu ermöglichen und schuftete fast Tag und Nacht. So konnte sie Xiaoli immerhin bis zum Studium in der nächsten Stadt bringen. Allerdings hatte das gleichzeitig den Effekt, dass Xiaoli größtenteils bei Nachbarn aufgewachsen ist, da ihre Mutter fast immer bei der Arbeit war, und ihre Großeltern die Kulturrevolution nicht überlebt haben.
Das Studium war dann die erste Zeit, die sie als schön empfand. Raus aus dem dreckigen Dorf, hinein in die leuchtende Stadt. Wirklich genossen hat sie das Stadtleben trotzdem nicht, da sie sich strikt auf ihr Studium konzentrierte. Sie ...