Ein Leben in Bedrangnis 03
Datum: 17.10.2018,
Kategorien:
Romane und Kurzromane,
Autor: byachterlaub
Neue Wege
Das vergangene Erlebnis hatte mich heftig aufgewühlt. Aber entgegen meinen ersten Vermutungen verfiel ich nicht in dumpfe Lethargie, sondern es entsprang daraus eine ganz neue, mir zutiefst fremde Selbstsicherheit.
Ich fühlte mich emanzipiert von meiner inneren Befangenheit gegenüber Frauen. Schließlich hatte Nadine mich, einen eher unscheinbaren Typen, jenem kraftstrotzenden potenten Kerl vorgezogen, den sie mit einer bloßen Handbewegung sozusagen aus ihrem intimen Leben wischte. Das Podium, auf das ich Nadine gesetzt hatte, war fortan baufällig geworden und drohte sogar einzustürzen.
Aber dennoch stellte sich eine innerliche Befangenheit ein, wenn ich ihrer gedachte. Es kehrte der unbändige Wunsch zurück, sie wiederzusehen, ihre markante Stimme zu hören und ihren Anweisungen geduldsam Folge zu leisten. Diese inständige Zuneigung beschlich mich in jenen Augenblicken des Trübsinns, an denen ich mich mit Wehmut und ungetrübter Hoffnung der Momente unseres zügellosen Zusammenseins erinnerte.
Ich begann von Neuem meine Umwelt zu erkunden. Die ängstliche Sorge, einen Anruf Nadines zu verpassen oder gar von ihr wegen eines Verstoßes gegen die Enthaltsamkeit der Treulosigkeit geziehen zu werden, hatte ich hinter mir gelassen.
So machte ich mich frischen Mutes auf den Weg durch die Straßen, neuen Abenteuern entgegen. Die ersten Versuche, jungen Menschen des anderen Geschlechts näher zu kommen, verliefen eher ernüchternd. Ich trat zu ungeschickt auf, ...
... manches Wort war freundlich gemeint, kam dann aber ungehobelt oder platt an.
Es verging manche Woche, in der ich mich zunehmend meiner schönen Stunden mit Nadine zu erinnern begann. Als aber der Sommer Einzug gehalten hatte, wenn die Kraft der Wärme die Kleidung auf das Nötigste reduziert, kam mir das Selbstbewusstsein zurück. Ich selbst hatte nun auch die dicke Kleidung und mit ihr die innere Hemmung abgelegt.
Die Wolken hatten gerade ihre letzten Tropfen ausgepresst, als ich mich auf den Weg machte. Die Eisdiele „Diavolo" sollte mein heutiges Tagesziel sein. Noch waren die Tische am Straßenrand kaum besetzt. Denn noch immer waren sie von Pfützen überzogen.
An einem der Tischchen hatte sich eine junge Frau niedergesetzt. Sie war noch vertieft in die Karte, als ich mich mit einem freundlichen „Guten Tag" zu ihr setzte. Sie blickte nur kurz auf. Ein Blick in die Runde hätte ihr sicher gezeigt, dass ich ihr nähr kommen wollte. Denn mehr als die Hälfte aller Tische war noch nicht belegt. Während sie die Karte niederlegte, blickte sie mir schonungslos in die Augen. Mich leuchteten die tief dunklen Augäpfel einer jungen Asiatin an.
Das gab mir zusätzlichen Mut, und ich sprach sie an. Dies schien mir heute so leicht. Ihr Äußeres gab den Gesprächsstoff vor. Sie erzählte, dass ihre Eltern schon während des Vietnamkriegs nach Deutschland gekommen waren. Sie fühle sich hier Zuhause. Erst wenige Male habe sie ihr Herkunftsland, ihre Onkel und Tanten, die Großeltern besucht. Schon ...