1. Teil 02 - Simon


    Datum: 18.01.2019, Kategorien: Sci-Fi & Phantasie Autor: bythomasbirne

    ... Schuldigkeit Alexa gegenüber bleibe ich ruhig sitzen. Vermutlich ist es jetzt an mir Tara davor zu bewahren ihren eigenen Grabstein zu meißeln. Die Leidenschaft ihrer Schwester besitzt sie offensichtlich, hätte sie doch nur auch ihren Verstand.
    
    Tara deutet mein Schweigen als Aufforderung weiterzusprechen. „Alexa war eine Sansculottin, wusstest du das?", fragt sie.
    
    „Das hat sie mir nie erzählt. Aber es passt zu ihr. Sie hatte einen Hang zu großen Gesten."
    
    Ich zünde mir eine Zigarette an und halte auch Tara die Schachtel hin, doch sie lehnt ab. Die Sansculotten sind eine Erneuerungsbewegung, wie sie alle paar Jahre entstehen, wenn enttäuschte Gläubige und gelangweilte Verlierer ihren Frust zusammenlegen und beschließen die Kirche von Grund auf neu zu gestalten. Die meisten dieser Leute werden sowohl von den Cassinis als auch von den Bourdieus ganz einfach ignoriert, da sich eine Unterdrückung schlichtweg nicht lohnt. Nur gelegentlich macht sich irgendein Kirchengericht die Mühe, eine bestimmte Auslegung des Glaubens zur Häresie zu erklären und das Inquisitionsbüro mit der Verfolgung zu beauftragen.
    
    Die Sansculotten hatten ihre große Zeit vor etwas weniger als zwanzig Jahren, als sechs bleiche Theologiestudenten sich zu der Auffassung durchrangen, durch den regelmäßigen Besuch von Vorlesungen und Seminaren ihrem Schöpfer nicht unbedingt näherzukommen. Um den himmlischen Vater gnädiger zu stimmen, begannen sie daraufhin ein Leben in Zölibat und Askese, legten ...
    ... ihren Besitz zusammen, um ihn gemeinschaftlich zu verwalten, und konsumierten ab und an Meskalin zur religiösen Erbauung.
    
    Als die Universität sie ein paar Semester später zwangsweise exmatrikulierte, bezogen alle sechs eine Bauruine im elften Distrikt und predigten unter den Tagelöhnern, Arbeitslosen und Lagerarbeitern am Hafen von der Ungerechtigkeit der Welt, der Gottlosigkeit von Cassinis und Bourdieus und dem Zorn Jesu. Wegen ihrer Liebe zur Armut nannte man sie bald die „Sansculotten, die „Hosenlosen". Nach ein paar dilettantischen Raubzügen in Klöstern und Kirchenbehörden, beschlossen beide Familien ihre Exkommunikation und verurteilten alle Sansculotten, derer sie habhaft werden konnten, zu mehr oder weniger hohen Strafen.
    
    Was heute von den Sansculotten übrig ist, ist ein erbärmlicher Haufen. Vermutlich hat Alexa mir nur deshalb nichts von ihnen erzählt, weil sie wusste, dass ich sie dafür ausgelacht hätte. Sie begnügen sich damit Kirchen zu beschmieren und Statuen nachts den Heiligenschein vom Kopf zu schlagen. Wenn sie Geld brauchen, erledigen sie für die Johanniter Aufgaben, die der Orden für unter seiner Würde erachtet. Von der Kirche, die sie verachten, werden sie an der kurzen Leine gehalten, wie ein Köter, der zwar gelegentlich kläfft und nicht ganz stubenrein ist, sonst aber seinen Zweck erfüllt. Hin und wieder schmuggeln sie für die Johanniter Kokain in die Stadt, das ich dann weiterverteile. Ich habe selten derart erbärmliche Wichtigtuer gesehen.
    
    Tara ...