1. Teil 02 - Simon


    Datum: 18.01.2019, Kategorien: Sci-Fi & Phantasie Autor: bythomasbirne

    ... angeblich schmecken ohnehin die meisten Tiere auf der Welt nach Huhn. Sie wickelt es in eine chinesische Tageszeitung ein und schenkt mir eine kleine Tüte mit Betelnüssen, weil ich ihr sage, dass sie das Wechselgeld behalten darf.
    
    Als mir ein betrunkener Student sein Bier auf die Schuhe schüttet, während ich mich durch eine Menschentraube zwänge, schenke ich ihm die Nüsse, obwohl ich Studenten normalerweise nicht ausstehen kann. Ich empfinde eine tiefe Sympathie für alle Betrunkenen, die vermutlich aus dem Umstand resultiert, dass ich mein Leben bereits in einem schonungslos ausgenüchterten Zustand begonnen habe, und daher den Mangel, der darin liegt, nur allzu deutlich erkennen kann. Außerdem hat mich die halbe Stunde, die ich bei Elena verbracht habe, milde gestimmt. Da es sich bei ihm wahrscheinlich um den hoffnungsvollen Spross einer begüterten Familie handelt, ist das Kauen von Betelnüssen zwar eigentlich unter seinem Niveau, aber ich betrachte es als bereichernde und erfrischende Erfahrung für ihn.
    
    Es dauert nicht mehr lange bis die Fassade von Wong & Holloway, dem Kaufhaus für den modebewussten Mann, vor mir auftaucht. Vor langer Zeit wurden hier einmal Anzüge, Gewänder und Kutten für Leute mit Macht und einer Menge Geld verkauft, aber irgendwann müssen die modebewussten Männer wohl den siebten Distrikt verlassen haben, denn Wong & Holloway wurde schon vor vielen Jahren geschlossen. Irgendwann kam jemand auf die Idee, in das Kaufhaus, das anscheinend keinen ...
    ... Besitzer mehr hatte, einzuziehen, und da sich niemand dazu berufen fühlte dagegen einzuschreiten, folgte bald eine Fülle von Menschen, die sich keine gewöhnliche Wohnung leisten konnten oder wollten nach. Als die Toussaint-Familie davon erfuhr, erhob sie lediglich eine geringe Gebühr, die monatlich an die Johannisabtei abzuführen sei, und ließ die Sache ansonsten auf sich beruhen.
    
    Ich selbst bewohne das Restaurant im Dachgeschoss. Es gibt dort keine Toilette, dafür gehört das riesige Flachdach des Kaufhauses mir und ich kann beim Frühstücken den ganzen Distrikt überblicken und über den Hafen hinweg weit auf das Meer hinaus schauen. Es ist natürlich Kitsch der schlimmsten Sorte, aber ein Mensch mit meiner neurotischen Veranlagung kann einfach nicht anders als sich, mangels echter Leidenschaften, daran zu hängen.
    
    Nachdem ich die fünf längst nicht mehr funktionierenden Rolltreppen hinaufgelaufen bin, muss ich einen Moment lang innehalten. Vor ein paar Jahren hätte ich diese kurze Pause nicht gebraucht, aber in der letzten Zeit bin ich fett geworden. Was soll man als Mensch sonst auch tun, außer älter, fetter und pedantischer zu werden? In ein paar Monaten werde ich 30, und ich stelle mir nicht allzu gern vor, in welchem Zustand ich mich wohl mit 40 oder 50 befinden werde, falls ich dieses Alter überhaupt erreichen sollte.
    
    Als ich die Bretterwand erreiche, mit der ich meine Wohnung von der Galerie des Kaufhauses abgetrennt habe, sehe ich Licht durch die schmalen Ritzen ...
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