1. Tesoro


    Datum: 25.04.2019, Kategorien: An– und Ausgezogen, Autor: LaVie

    ... Waldsterben. Der Kräuterlikör mit dem Hirsch im Logo leider nicht.
    
    „It is ...“, ich überlegte. Warum waren meinen Englisch-Lehrern Zeitformen wichtiger als das Wort für ‚Kräuter‘ gewesen? „Something with herbes. A little bitter, but very tasty!“
    
    „Is it good?“, fragte er. Südländischer Akzent.
    
    „Yeah!”, erwiderte ich. „Would you like to taste one?”
    
    Er nickte und ich bestellte ihm einen Shot. 2,50 EUR für ein deutsches Qualitätsprodukt!
    
    Der Mann probierte und war tatsächlich angetan. Aim achieved! Ich lächelte, klopfte ihm auf die Schulter und verabschiedete mich. Ich hatte schon so viel geredet, die Tanzfläche rief!
    
    Da nur noch wenige Leute da waren, hatte ich freie Bahn und gab mich komischen Bewegungen, flirrenden Gedanken und wummerndem Dubstep hin. Während ich mit den Armen wedelte, zog die Galerie der Ex-Freunde an mir vorbei und verwandelte sich in einen Strudel der Emotion, der mich mitriss und mir eines offenbarte: Sie hatten mich alle betrogen, schlecht behandelt und waren keine der Tränen wert gewesen, die ich ihnen nachgeweint hatte. Aber sie hatten mich stärker gemacht. Jeder hatte mir etwas beigebracht und ich war vorangeschritten. Ohne sie wäre ich immer noch eine graue Maus und keine Catwoman! Ich war geil. Verdammt geil! Zwischendurch erhielt ich eine SMS von Lina mit einer Adresse, die nicht ihre war. Sie war also erfolgreich gewesen. Ich fehlte noch. Aber das war egal. Tanzen ist besser als Sex!
    
    Ich tauschte noch ein paar Worte mit den ...
    ... Übriggebliebenen, ein Potpourri aus Europäern, Chinesen und Amerikanern. Nette Menschen, die viel zu erzählen hatten, aber ein potenzieller Paarungspartner war nicht dabei. Raiko sah ich irgendwann mit einer Blondine nach draußen gehen. Egal. Es war ein guter Abend.
    
    Doch alles hat ein Ende. Und so schlossen sich auch für mich die Tore. Ich kippte einen Grapefruit-Saft runter, holte meine Tasche aus der Garderobe und ging nach draußen. Erst jetzt, als mir eine Mischung aus Nacht, Natur und Abgasen entgegenwehte, wurde mir klar, wie stickig es dort unten war.
    
    Ich setzte mich auf die Treppe und beobachtete die Sterne. Alle redeten vom Licht-Smog der Großstadt. Wir waren am Rande der Innenstadt und der Himmel war klar. Die Verwaltung wusste, wie man Sehenswürdigkeiten richtig anleuchtete! Ich hatte keine Ahnung von Sternen, aber sie zu betrachten, ihre Helligkeiten zu unterscheiden und einfach das Blau des Himmels zu genießen, war wundervoll! Ich musste aufpassen, dass ich nicht einschlief.
    
    „Excuse me?“, der Akzent von der Bar. „How do I get to ... Hauptbahnhof?“
    
    Ich sah nach oben. Sein Gesicht wirkte abgekämpft und etwas schweißig. Seine Augen müde. Entweder hatte er den Alkohol nicht vertragen oder sich in einer stillen Ecke ausgetobt. Vielleicht erschöpften ihn auch nur die vielen Eindrücke.
    
    Der Höflichkeit wegen stellte ich mich hin, und doch war ich nicht auf Augenhöhe – er war etwas kleiner als ich. Eine große Kunst!
    
    „Would you go by tram, car or would you ...
«12...567...21»