1. Tesoro


    Datum: 25.04.2019, Kategorien: An– und Ausgezogen, Autor: LaVie

    ... Natural History Museum is quite famous. It is the biggest in Italy. There are a lot of bones of dinosaurs!”
    
    Ich stellte mir den kleinen Roberto unter dem Riesenskelett eines Tyrannosaurus Rex vor – beängstigend. Man wollte ihm über den Kopf streicheln und wegziehen, sonst hätte ihn dieses Wesen aufgefressen oder einfach plattgetreten.
    
    „That sounds really cool!“, sagte ich voller Ehrfurcht.
    
    „Yes, it is!“, bestätigte er.
    
    „And why did you leave?“, fragte ich.
    
    Roberto blieb abrupt stehen, während ich weiterlief. Wir befanden uns am Ende des Parks unter einer Straßenlaterne.
    
    „The politics“, sagte er, und seine Augen glühten im Licht der Birne.
    
    „Pardon?“, ich war verblüfft.
    
    „The economic crisis. Corruption, unemployment. When we finished studying, we will be paid as normal workers. Even if we do PhD. Education doesn’t count. IF we get a job. Germany is a good alternative.“, das Feuer in seinen Augen sagte mehr, als die Worte zu vermitteln wagten.
    
    Wir hatten es uns auf unserem Stühlchen wirklich gemütlich gemacht. Mit Schröder waren die ewigen Schlagzeilen über die Arbeitslosigkeit verschwunden, oder wir hatten uns einfach daran gewöhnt. Das Gemeckere über Hartz IV hatte sich von den Titelseiten zuerst ins Privatfernsehen und schließlich in die Haushalte geschlichen, in denen es sein tödliches Unheil verbreitete, ohne Chance auf Heilung. Wie ein Virus, den man nicht wahrnimmt, solange sich keine Symptome zeigen. Was bei uns für’s Mittagsfernsehen taugte, ...
    ... war in anderen Ländern normal – Gewalt gegen andere. Der Sieg des Stärkeren. Gebannt blickten wir auf die Generalstreiks in anderen Ländern und wunderten uns über die Montagsdemonstranten auf der Einkaufsstraße. Es war Zeit, sich an den Errungenschaften der verhassten Regierungen zu erfreuen und mit dem Finger auf die anderen zu zeigen. Wer sein Taschengeld für Heuschrecken ausgibt, ist selber schuld.
    
    Mit einem Mal hasste ich mich selbst. Einerseits waren wir die Fieslinge, die die anderen auslachten, ihnen Hilfe versagten. Andererseits waren wir die Heilsbringer, denn bei uns war noch alles in Ordnung. Die EU zeigte, wozu sie fähig war. Und all diese großen Dinge, für die ich nichts konnte, rechnete ich auf mich herunter. Was nützte uns die Schönheit, wenn Menschen ihre Heimat verlassen mussten, in der Hoffnung, woanders ein besseres Leben zu haben?
    
    „How long will you stay?“, fragte ich niedergeschlagen.
    
    „At least two years. After doing my PhD, I will try to find a job here“, erklärte er.
    
    „Ok. Was it hard to leave?”
    
    „Of course, it is. But my parents understood. They want me to have a better life. Some of my friends don’t. They call me a coward, because I am leaving the country that raised me. But I will come back someday. It is much easier if you know why you leave.”, sein Blick wurde melancholisch.
    
    „I can’t image leaving. I love my family.”, ich beneidete ihn um seinen Mut.
    
    „You don’t have to. You live in a beautiful city. You have everything, that is ...
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