1. Dunkle Hochzeit Ch. 01


    Datum: 24.10.2019, Kategorien: Nicht festgelegt, Autor: byPoppingTom

    ... sich grade wieder frei? Irgendwann sah sie ihn, wie er sich beruhigt hatte, sich hinsetzte, den Kopf in die Hände legte. Durchatmete.
    
    Weinte er?
    
    Sie musste jetzt gehen. Sein Weinen wäre wirklich unerträglich. Doch sie konnte einfach nicht. Sie stand wie angewurzelt da und sah ihm zu. Sie traute sich einfach nicht wegzugehen, als könne nur ein Schritt weg von der Boutique sein Ende bedeuten. Für einen Moment blieb ihr Herz stehen, als sie ihn aufstehen sah. Holt er jetzt die Pistole? Würde sie gleich einen Schuss hören? Doch er kam zurück. Setzte sich wieder. Und nach ein paar Sekunden sah sie ein leicht glimmenden Punkt.
    
    Seit wann rauchte er eigentlich? Er hatte nie geraucht, solange sie da war. Er sah einen Moment lang zu ihr. Dann blickte er wieder weg.
    
    Es war wirklich Zeit zu gehen. Er würde sich nicht umbringen, da war sie sich jetzt etwas sicher. Dafür war noch zuviel Leben in ihm. Es war schon komisch, sie hätte es ihn eigentlich wünschen müssen. Doch es beruhigte sie eher, ihn am Leben zu wissen. Zwischen all den Hass und den Rachegedanken war eine klitzekleine Portion Gefühl für ihn übrig.
    
    -
    
    Sie hätte heulen müssen. So wie damals. Aber alles in ihr wollte nicht. Sie zog sich in sich selbst zurück, dachte in aller Ruhe nach über das, was passiert war, und was sie als nächstes tun sollte, während sie mit der Bahn nach Hause fuhr.
    
    Zur Polizei gehen. Die Logik in ihr sagte, dass es keinen anderen Weg gibt. Aber stärker als die Logik war ein ...
    ... untergründiges Gefühl, das nicht wollte. Noch mal erzählen, wie alles passiert ist? Alle Gefühle aussparen, die für ihn sprechen könnten, weil man das dann gegen sie verwenden könnte? Sich nach Spermaspuren untersuchen lassen ? Alles noch einmal vor Gericht auftragen, wo er dann einfach sagen könnte: ja, sie hat mich durch ihre aufreizende Kleidung provoziert? Sicher, sie konnte sagen, das sie das von Berufs wegen und auf seine Anordnung hin musste. Doch sie sah sich schon unsicher im Zeugenstand sitzen, seine Blicke trafen und durchbohrten sie, während ein gefühllos analytischer Anwalt beissend fragt, ob sie für ihre Behauptungen irgendwelche Beweise hätte. Und das wirklich schlimme daran: sie, die nicht lügen konnte, wusste die ganze Zeit genau, dass sie ihn provoziert hatte. Sie musste irgendwo in sich selbst sogar zugeben, dass sie ihn gerne provoziert hatte, auch wenn ihr ein anderes Ergebnis lieber gewesen wäre. Das war der Unterschied zu damals, als sie im zarten Alter von 14 Jahren schon einmal vergewaltigt wurde und nicht die geringste Ahnung hatte, was sexuelle Provokation überhaupt bedeutet. Damals hatte sie alle Strapazen auf sich genommen, um den Vergewaltiger, ein 50jähriger, eigentlich ganz netter Nachbar ihrer Freundin Soolin, im Knast zu sehen. Es war das mindeste, es war viel zu nett, eigentlich hätte sie damals auch die Mafia aufsuchen können, Kumpels von ihr meinten, sie hätten das organisieren können, der Kerl würde dann garantiert nicht mehr leben, und das war ...
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